Stolpersteine in Bischofsheim

Die jüdische Metzgerfamilie Berthold und Selma Kahn mit den Kindern Hilde, Ilse und Rosel aus Bischofsheim,

Bild: privat

Ich habe in Frankfurt am Main Gesellschaftswissenschaften, Pädagogik und Politik studiert und habe ein großes Interesse an Zeitgeschichte, an politischen Zusammenhängen sowie an pädagogischer Vermittlung für Jung und Alt. Lokale und regionale Geschichte und alltägliche, erzählte und geschriebene Geschichten sind zudem zu meinem leidenschaftlichen Hobby geworden, das viele in Bischofsheim kennen. Schon in meiner Schul- und Studienzeit habe ich ein besonders Interesse an der Geschichte des deutschen Faschismus und des Judentums entwickelt. Bereits 1983 zum 50. Jahrestag der Machtübertragung an die Nazis habe ich zusammen mit Jugendlichen die Geschichte der Mainspitze in der Zeit des Nationalsozialismus aufgearbeitet. Anfang der 1990er Jahre hatte ich als Heimat- und Kulturpfleger der Gemeinde die Aufgabe ein Programm für ehemalige Jüdinnen und Juden aus Bischofsheim, die auf Einladung der Stadt Mainz zu Besuch waren, zu organisieren. Dies habe ich gern getan, es hat Beachtung gefunden und wurde zu einem Stück Selbstverpflichtung. Schließlich wuchsen auf diesem Boden zahlreiche Gemeindeveranstaltungen zur Reichspogromnacht, zum Holocaust-Gedenktag oder am Gedenkstein am Marienplatz, die mittlerweile zum Bestandteil der kommunalen Kulturarbeit wurden.

Gerne erinnere ich mich an die ersten persönlichen Kontakte zu Mitgliedern der Familien Kahn und Selig, die nach sehr langer Zeit wieder in ihre ehemalige Heimat in Bischofsheim kamen. Die Gemeinde Bischofsheim fühlte sich sehr geehrt, für mich war es ein prägendes Ereignis. Es kamen Menschen in unsere Gemeinde, die in jungen Jahren ihre Heimat verlassen mussten, die Orte der Kindheit aufsuchten und froh waren, dass dies endlich möglich gemacht wurde. 

Wenn wir zur Verlegung der Stolpersteine am 5. Februar 2024 wieder jüdischen Besuch bekommen, sind es diesmal die Kinder und Enkel der Familie Hartwig Kahn mit den Kindern Dr. Fritz und Bina aus der Frankfurter Str. 50, der Familie Siegmund Selig mit den Kindern Alice und Erna sowie Franziska Selig aus der Frankfurter Str. 9 und der Familie Berthold Kahn mit den Kindern Hilde, Ilse und Rosel aus der Darmstädter Straße 10a/Ecke Spelzengasse. Dies alles sind Angehörige von ehemaligen Bischofsheimer Familien. Für mich bedeutet das, dass ich nun eine weitere Generation der Kahns und Seligs kennenlernen kann.

 

Diesen Familien bin ich auf eine besondere Weise verbunden, da ich schon seit Jahrzehnten im Gemeindearchiv und an anderen Quellen alles zu deren Familiengeschichte zusammentrage und damit für die Nachwelt sichere. Mit Geschichten, Dokumenten, Fotos und anderen Erinnerungen kann ich darüber informieren, wer, wie und wo als Jude und Jüdin in Bischofsheim gelebt, gearbeitet und gewohnt hat. Ich betrachte mich daher als Experten, der Auskunft über ihre Familiengeschichte geben kann und von Geburts-, Heirats- und Sterbeurkunden für Stammbäume bis zu Bauunterlagen der ehemaligen jüdischen Häuser berichten kann. Mittlerweile haben meine Forschungen einen beachtlichen Umfang von mehreren hundert Namen aus 300 Jahren ergeben, die ich gerne zur Verfügung stelle. Die Erinnerungsarbeit an die Kahns, Seligs, Blumbergs, Hirschs und Wallersteins verstehe ich als meinen Beitrag zur Wiedergutmachung für das entstandene Leid, das auch in unserer Gemeinde geschehen ist.

 

Insbesondere zwei Personen sind hervorzuheben: Franziska Selig und Hartwig Kahn wurden von den Nationalsozialisten in Vernichtungslagern ermordet. Sie haben nie ein Grab besessen. Die Stolpersteine vor ihren letzten Wohnorten werden für alle und vor allem für die Angehörigen endlich ein Erinnerungsort sein.

 

Ich weiß um die Bedeutung von „Heimat“ in all ihren Nuancen und aus den Gesprächen mit jüdischen Angehörigen kann ich nur erahnen, welche familiären Erinnerungen an die “ehemalige Heimat Bischofsheim“ noch immer bestehen. Sie sind und waren immer auch positiv besetzt. Über die leidvollen Erinnerungen an und von Opfern und Verfolgten Auskunft zu geben, ist mein Ansinnen, das durch die Stolpersteine manifestiert wird. 

 

Es freut mich sehr und es ist eine Anerkennung meiner jahrelangen Recherche-Arbeiten, dass ich vom Gemeindevorstand in den „Arbeitskreis Stolpersteine“ berufen wurde, um die Stolperstein-Verlegung vorzubereiten und durchzuführen.

Die Stolperstein-Verlegung am 5. Februar 2024 kommt angesichts der aktuellen Ereignisse mit Antisemitismus, Rechtsextremismus und der zunehmenden Verrohung unserer Gesellschaft gerade zur rechten Zeit. Sie versteht sich als ein Mut machendes Zeichen gegen Unmenschlichkeit, Rassismus, gesellschaftliche Ausgrenzung und Krieg. Sie sind ein öffentliches Bekenntnis für ein demokratisches Deutschland, für eine Kultur des friedlichen, fairen und toleranten Miteinanders sowie ein nachhaltiges Bemühen um Erinnerung und Gedenken.

 

Bernd Schiffler


Verlegung von Stolpersteinen in Bischofsheim am Montag, den 05.02., von 11 bis 13 Uhr an der Frankfurter Straße 50 und 9 Ecke Darmstädter Straße/Spelzengasse. 

18 bis 20 Uhr:  „Gedenken und erinnern – Gespräch mit den Nachfahren“ im Palazzo




25.01.2024