Wir blättern im Bischofsheimer Kalender 2024 und auf dem Foto zur zweiten Hälfte des Januars steht sie mittendrin auf der Rathaustreppe: Helga Schnellbacher, langjährige „Kommandeuse“ des hiesigen Carneval-Vereins, vor ihr „Kerche-Gockel“ Jakob Oefner, den sie als Protokoller engagierte, rechts von ihr Bürgermeister Hans Dorr, der sie Mitte der 1960er Jahre „reaktivierte“.
„Unser ostpreußisch Mädsche muss her und zeigt uns, wie Fassenacht geht“, soll er gesagt haben, als es um den Wiederaufbau des Balletts im BCV ging.
Helga Schnellbacher hat viel zu erzählen. Immerhin blickt sie auf neun Jahrzehnte eines bewegten Lebens zurück. Geboren in Birklacken in Ostpreußen „zwischen Polen und Russland“. Der Vater war Eisenbahner und so führten im Zweiten Weltkrieg Evakuierung und Flucht über Sachsen zum zweitgrößten Güterbahnhof Süddeutschlands nach Bischofsheim. Eine Bleibe fanden Mutter, Tochter und „die drei Jungs“ in einer Baracke am Schindberg.
Bürgermeister als Patron der Garde
Man kümmerte sich um sie: Erster Beigeordneter Karl Haub vermittelte eine Wohnung im Darmstädter Hof, der Mainzer Oberbürgermeister Franz Stein erließ Helga Schnellbacher das Schulgeld mit der Aufforderung: „Danach kimmste zu uns!“ Bis zum heutigen Tag fremdelt sie mit dem Dialekt. „Die Sprache war schon schwer zu verstehen!“ Und es hat lange gedauert, bis das erste „dreifach donnernde Helau“ ihr über die Lippen kam.
Zum BCV kam sie als der ein Ballett brauchte. „Wir haben keinen Prinzen, keine Prinzessin, aber wir haben einen Grafen“, soll es geheißen haben. Aber wer sagt es dem amtierenden Bürgermeister? Mit einem kurzen, aber entschiedenen „Ei, du“, bekam Helga Schnellbacher ihren ersten Auftrag. Mit Zuspruch von Karl Grafs Ehefrau erzwang sie ein „Ja“ und die „Grafen-Garde“ war gegründet. „Wir waren fortan das Bunte am Bild auf der Bühne.“
Pflege des närrischen Volksbrauchs
„Ich war ja bisher nur im Büro“, berichtet die erste Kommandeuse beim BCV, „und musste das Nähen lernen.“ Denn die Kostüme waren ebenso selbstgemacht wie das „Figuren bauen“ bei den Tänzen. Mit Erfolg. Vom 11.11. bis zum Aschermittwoch waren sie unterwegs. Ihr Geheimnis: der Faktor Spaß: „Du musst, das war schon verkehrt.“ Helga Schnellbacher war nie im Komitee, „das war halt früher immer nur Männersache“. Aber bei allen Auftritten waren die Frauen geschätzt, die „Dohleplanscher“, „Bischemer Böppcher“ und „Stampesbiencher“, wie die Ballettgruppen zum Teil bis zum heutigen Tage heißen.
Ihre Erinnerungen teilt sie mit den beiden Söhnen Hans-Eberhard und Peter, auch die an ihren Mann Hans, der schon 1962 bei einem Autounfall zu Tode kam. Aus dem Nebenzimmer ihres Apartments im Seniorenpark holt sie eine Urkunde aus dem Jahre 2013 von der Verleihung des Verdienstordens in Gold mit Brillanten „für die langjährige Pflege des närrischen Volksbrauchs“. Aber wirklich gerührt sei sie, dass die Mädchen der Grafen-Garde „mir treu geblieben sind“.
Professor Dr. Wolfgang Schneider
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