Wortakrobatische Einblicke in Dichterwelten

Ein „Poetry-Slam“-Abend, mancherorts regelmäßig zu erleben, feierte in Gustavsburg Premiere. Genauer gesagt ging der „Performance-Wettbewerb mit gesprochener Poesie“ – so beschreibt Künstliche Intelligenz das Geschehen – in den Burg-Lichtspielen über die Bühne. Ein paar vielseitige, überraschende und interaktive Stunden versprach Moderator Sebastian Hauf, in der Szene bestens vernetzt und dort sonst mit eigenen Texten präsent, dem Publikum. Aus der Runde der Zuhörer ausgewählt fungierten fünf Frauen und Männer als Wertungsrichter, denen der zuvor ertönte Applaus als Anhaltspunkt für ihre Punktevergabe dienen sollte. Bis zum Finale, in dem sich die beiden Wortakrobaten mit den besten Bewertungen maßen, standen zehn Vorträge von sechs Poeten auf dem Plan, die – so verlangt es die Regel – eigenständig verfasste Texte zum Besten gaben.  

 

 

Auf der Bühne zu erleben: Mali Carillo, Lea May, Fatih Serbest, Uli Höhmann, Martin Weyrauch und Marcel Ifland – alle im Alter zwischen 15 und 49 Jahren. Das Publikum zeigte sich zunächst gespannt, mit Fortschreiten des Abends mehr und mehr erfreut über die zumeist in Reime gefassten Worte mit großem Variantenreichtum. 

Ob von persönlichem Erleben geprägt, auf Fantasiereisen entdeckt oder angesichts aktuell diskutierter Themen durchdacht, sämtliche Texte entführten in andere Welten. Mal animierten die Worte zum Nachdenken, mal zum Mitfühlen, dann wieder lösten sie Schmunzeln, bisweilen Lachen oder pures Staunen aus. 

 

Wie kamen die sechs Poeten des Abends zum Schreiben, zum Dichten? 

Fatih Serbest, Vater von zwei Kindern und beruflich einem Bürojob verpflichtet, begann mit dem Schreiben, nachdem ihn 2007 seine damalige Liebe verlassen hatte. Er entschied sich, noch im selben Jahr spontan an einem Poetry-Slam teilzunehmen. In seinem Vortrag rankten sich ebenso spannungsgeladene wie sensitive Gedanken um den Krieg in der Ukraine und die jüngste Erdbeben-Katastrophe im Grenzgebiet von Türkei und Syrien.

 

„Die Leute haben gesagt, das kannst Du nicht. Du stotterst, zitterst, geh’ nicht auf die Bühne“, erzählt Martin Weyrauch, der sich dachte: Jetzt erst recht. Inzwischen hat er auf vielen Bühnen gestanden, textet vielseitig, auch im Auftrag, bietet Seminare an. In GiGu bewies er sich als Könner des Wortspiels, lies die Zuhörer an Mobbing-Erfahrungen und Ängsten teilhaben. 

 

Marcel Ifland – aus Wanne-Eikel kam der Elektriker im Tankstellenbau direkt im Arbeitsanzug auf die Bühne der Burg-Lichtspiele – verfasst seit früher Jugend eigene Texte. Die Satire sei sein Steckenpferd und präge bis heute viele seiner Kurzgeschichten. Mannigfaltiges Grinsen ins Gesicht der Zuhörer zauberte denn auch sein Bericht von der Zerstörung seiner Kindheitshelden, der Familie Duck aus E., und das Intermezzo „Treppenhaus-Twitter mit Nachbarschafts-Willi“. 

 

Erst seit wenigen Monaten ist Lea May in Sachen „Poetry-Slam“ auf Bühnen aktiv. Als Kind habe ihre Oma ihr oft Gedichte vorgelesen, sodass sie früh Interesse für Worte und Texte entwickelt und in der Schule an einem Poetry-Slam-Workshop teilgenommen habe. Die Studentin für Soziologie & Erziehungswissenschaften, die gerade an ihrer Bachelor-Arbeit schreibt, nahm das Publikum mit auf eine Zeitreise in eine bessere, sprich klimaneutrale Welt. 

 

Der Radiomoderator Uli Höhmann – das Texten gehört somit zum Beruf – agiert seit gut zwei Jahren als Poetry-Slammer. Vergnügt zerpflückte er in einem Beitrag den schlichtweg nimmer enden wollenden Google-Kalender, ehe das Abenteuer eines chaotischen Whisky-Tastings im Zentrum des Geschehens stand. 

„Es ist mir wichtig, dass Menschen sich mehr zutrauen. Und das versuche ich zu vermitteln“, betonte im Gespräch Mali Carillo, mit 15 Lenzen die Jüngste der Runde. Die junge Frau besucht die 9. Klasse eines Wiesbadener Gymnasiums, hat für die Theatergruppe der Schule ein Stück geschrieben, führt dort Regie und will später mindestens ein Buch schreiben. In GiGu präsentierte sie unter anderem einen Text, in dem sie die persönlichen Erfahrungen einer depressiven Krise beschrieb und die Quintessenz zog: „Ich will meinem Leben eine neue Chance geben, mein 13-jähriges Ich nicht im Regen stehen lassen.“

 

Ins Finale schickte das Publikum Mali Carillo und Uli Höhmann. Dort nahm der Journalist gesprochene Gendersternchen und zunehmend eingesetzte und seinerseits als widerwärtig empfundene Anglizismen im Medium des „Ausspielweg“ (besser bekannt als Radio) wortreich ins Visier. Die Schülerin mit den leuchtendblau gefärbten Haaren hingegen widmete sich unter dem Titel „Rosy Cheeks“ (rosige Wangen) dem Verliebtsein, den Merkmalen, der Zuneigung für andere wie auch zum eigenen Ich und gewann damit den Wettbewerb. 

 

Mit musikalischen Zwischenspielen bereicherte der Sänger (und Koch) Agatino Sciurti den Abend, der in seinem Lokal „Agas’s Barlounge“ – gemeinsam mit Ausrichter & Moderator Sebastian Hauf – Gastgeber des nächsten Wortakrobaten-Abends der Reihe „Slam Jam“ ist. 

 

Zustande kam das neue Projekt „Slam Jam – die Macht der Worte“ unter dem Dach des Vereins „Achterbahn“ durch berufliche Kontakte zwischen Sebastian Hauf und Axel Schiel, der dem Verein „Achterbahn“ vorsteht. Gemeinsam hoben sie das in GiGu erfolgreich gestartete Projekt „Slam Jam“ aus der Taufe, das anderenorts im März und April Fortsetzung findet: Am Donnerstag, 09.03., in Aga’s Barlounge in Groß-Gerau (Bahnhofsgebäude, Sudetenstraße 51), sowie im Theater der Büchner-Bühne in Riedstadt-Leeheim (Kirchstraße 16) am Donnerstag, 13.04.. Beginn ist jeweils um 19.30 Uhr.

 

Cornelia „Conny“ Benz



23.02.2023