„Ich wollte mal wissen, wo meine Familie herkommt“

Gerhard Sautier betreibt Ahnenforschung

Sein Nachname war ihm nicht immer ein Vergnügen. Seitdem Lehrer Schick an der Kant-Schule ihn mit „Sau-Tier“ vor versammelter Klasse zum Rapport rief, wurde er gehänselt. Gerhard Sautier (in phonetischer Transkription, also Lautschrift: Sotje) reagierte mit Wut im Bauch. Dem Pädagogen warf er vor, es als Französisch-Lehrer besser wissen zu müssen und „fortan hatte ich eine 5 im Fach.“ Die Mitschüler bekamen Prügel. Heute ist er stolz auf seine Abstammung aus Frankreich und betreibt Ahnenforschung, „weil ich mal wissen wollte, wo meine Familie herkommt.“

 

Vom Märchenkönig zum Meisterbrief

Gerhard Hans Sautier wurde 1943 in Mainz geboren, ein Großvater war Lokführer bei der Bahn, der andere Techniker am Stadttheater „und fuhr zur Festspielzeit mit dem Fahrrad nach Bayreuth.“ Bei der Suche einer Bleibe bekam die junge Familie Krieg und Nachkriegszeit existentiell zu spüren. Ein Glück für den kleinen Gerhard war dagegen die Grundschule, an die sich der 80-Jährige gerne erinnert. Zwischen den heutigen beiden Rathäusern, auf dem damaligen Schulhof, inszenierte seine Klasse „Rapunzel und die Zaubermühle“: „Und ich durfte den Märchenkönig spielen.“

Nach der Mittleren Reife wurde er Radio- und Fernsehtechniker, ein „Goldener Meisterbrief“ hängt zu Hause im Wohnzimmer im Keltenweg. Im Saalbau lernen sich Gerhard Sautier und Heide Müller kennen und lieben und werden ein Paar. In einem Wohnblock in der Danziger Straße kommen sie mit vielen Protagonisten der „Närrischen Achse“ zusammen, mit Christian Groß, Hans Jantschek und Hennes Riedl. 

 

Vom Paddelboot zum Segeltörn

Gerhard Sautier war 25 Jahre Geschäftsführer bei „Radio Schäfer“ in Rüsselsheim, „bevor ich mich telefonisch bei Bürgermeister Berthold Döß beworben habe.“ Anderntags war er der neue Leiter des Bauhofs von Bischofsheim. Und dann erfahre ich auch noch von einer ganz besonderen Leidenschaft des rüstigen Rentners: vom „Paddelboot aus Sperrholz“, von der Gründung des Kanuvereins Ginsheim und von Segeltörns. Die Sautiers waren gerne unterwegs, auch mit Wohnwagen und Anhänger.

 

Vom Genfer See nach Mainz am Rhein

Das liegt wohl in der Familie. Denn die ersten Recherchen von Gerhard Sautier ergaben, dass seine Vorfahren offensichtlich aus Frankreich stammten. Seine Sippe geht auf den Bäckermeister Nikolas (mal mit c, mal mit k) Sauthier zurück, der 1766 in der Region Haute Savoy geboren wurde, mit Napoleon in Richtung Westen marschierte und die Gonsenheimer Waschfrau Barbara Becker ehelichte. Eine Abschrift der Heiratsurkunde befindet sich im privaten Archiv von Gerhard Sautier.

Und nicht nur Dokumente hat er gesammelt, auch den Stammbaum in allen Verästelungen der Familien hat er auf Papier gebracht. Voller Stolz präsentiert er mir eine vier Meter lange Papierrolle, auf die er akribisch aufgeschrieben hat, wer mit wem verwandt ist, wann und wo Geburten, Hochzeiten und Tod zu verzeichnen sind. Schließlich entdeckt Gerhard Sautier auch Nachfahren in Frankreich selbst. „Ich habe meine Familie wieder gefunden“, berichtet er glücklich, zeigt mir in einem zerfleddertem Autoatlas die Lage des Dörfchens in der Nähe des Genfer Sees: Andilly. Aus dem Hobby ist eine Passion geworden und er gräbt weiter in seiner ganz persönlichen interkulturellen Geschichte. 

 

Professor Dr. Wolfgang Schneider



07.03.2024