Rund 15 Millionen Deutsche sind infolge des Zweiten Weltkriegs aus ihrer Heimat vertrieben worden. Im Jahre 1946 wurden in tschechischer und deutscher Sprache auch die Familien im Sudentenland aufgefordert, „ihre Wohnung in vollster Ordnung zu verlassen“. Eine davon war die Familie von Waltraud Kempf. Im 93. Lebensjahr erinnert sie sich: „Wir mussten sofort raus!“ Mit weißer Armbinde und der Aufschrift „Německý“ (Deutsch) und „höchsten 50 Kilo Gepäck“ ging es zum Abtransport nach Karlsbad. Von Wiesau an der bayerischen Grenze ging es in ein Massenlager und weiter nach Sandbach im Odenwald. Ein Dutzend Personen wurde vom Kreis Groß-Gerau „verteilt“, mit Mutter und Schwester kamen sie zunächst in der Volksschule an der Spelzengasse in Bischofsheim unter.
Mit dem Ankommen beginnt die Geschichte der „Egerländer Gmoi“ in der Eisenbahnergemeinde. Die 18-jährige Waltraud lernte den ebenso vertriebenen Wilhelm Hein kennen und sie wurden ein Paar. Aus dem Schlafzimmer holt sie das Hochzeitsfoto und erzählt vom Zusammentreffen mit dem Fotografen Hans Blobner in dessen Atelier in der Rheistraße, der ein paar weitere Familien aus dem Egerland in die „Ratsstube“ der Metzgerei Meckel in der Schulstraße einlud und zusammen gründeten sie am 4. März 1952 die „Egerländer Gmoi“. „Die Männer der ersten Stunde“, heißt es in der Broschüre zum 50-jährigen Jubiläum, „waren Rudolf Rössler sen., Hans Blobner, Alfred Schöniger und Wilhelm Hein.“ Als Schriftführer fungierte Willy Schimmer, Beiräte waren unter anderem Karl Beer, Hans Leicht und Josef Meinlschmidt.
Sonntag, 16. März 2025, 11 Uhr im Museum Bischofsheim, Darmstädter Str. 2: Die „Bischemer Egerländer“ als „Gmoi“ in der Gemeinde – Matinee zur Heimatgeschichte mit Frühstück (Kostenbeitrag 15 €) und Musik
Anette Huyer, Dr. Rainer Schmidt und Hermann Beer im Gespräch mit Professor Dr. Wolfgang Schneider. Mit der Bitte um verbindliche Anmeldung unter:
hgv.bischofsheim@gmx.de, Tel.: 06144-1458, www.museum-bischofsheim.de
„Gmoi-Schrammel“ in Tracht und Tradition
Zehn Jahre später haben viele Familien ihr eigenes Haus gebaut, so auch die Heins in der Ginsheimer Straße. „Die Bischemer waren aber zunächst eher misstrauisch“, erzählt Waltraud Hein, die Egerländer waren so was wie die „Gmoi“ in der Gemeinde. Sie hatten eine neue Bleibe gefunden und sich bundesweit mit der „Charta der deutschen Heimatvertriebenen“ bekundet, „auf Rache und Vergeltung“ zu verzichten und „tatkräftig am Wiederaufbau Deutschlands und Europas mitzuwirken“, wie es 1950 formuliert wurde. Die Katholische Kirche war ein „Halt“ vor Ort, die zahlreichen Veranstaltungen mit den „Gmoi-Schrammeln“ oder den Sing- und Tanzgruppen zunächst im Saal der Gastwirtschaft Wiesenecker, später im Bürgerhaus wurden zunehmend auch von der hiesigen Bevölkerung wahrgenommen. Es war Bürgermeister Hans Dorr, der ihre Integration als „Bischemer Egerländer“ adelte.
Waltraud Hein präsentiert mir stolz die Tracht ihres vor zehn Jahren verstorbenen Mannes in den traditionellen Farben braun, weiß und grün, mit dem „Geschirr“, den Hosenträgern, und dem „Housnoa(n)toudara“, eine Art Gürtelschnalle. Sie selbst trug eine Leinenbluse mit besticktem Mieder, Seidentuch und Schürze. Als „Gehänge“ bezeichnet sie die Silberkette mit Herz und Kreuz und böhmischen Granaten. Verheiratete Frauen wurde noch die Haube aufgesetzt, „die haben wir aber nicht gerne getragen“. Die Männer hatten einen schwarzen „Floderer“ als Hut, Unverheiratete mit rotem Band. Und dann kommt sie auf das Egerländer Leibgericht zu sprechen, „Schweinaos, Kraut u Knia(d)la“, das in der Zeit als ihr Mann „Vürastäiha“ war, im eigenen Keller, Hof und Garten zur Bischemer Kerb in unzähligen Portionen verkauft wurde.
Mit ihren beiden erwachsenen Kindern, den drei Enkeln und dem Urenkel blättert sie schon mal in den Fotoalben einer schönen Zeit, aber festhalten könne man die nicht. Die dritte Generation überlegt derzeit die „Egerländer Gmoi“ aufzulösen. Zeit also, sich noch einmal zu erinnern, Geschichten aufzuschreiben und Dokumente für die Nachwelt zu erhalten; denn Bischofsheim kann sich glücklich schätzen, dass die „Gmoi“ auch hier heimisch geworden ist.
Prof. Dr. Wolfgang Schneider
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