Professor Schneiders Heimatforschungen – Der Comedy-, Kabarett- und Musikveranstalter Holger Schneider

Wo man singt, da lass dich nieder // Folge 15

Man kennt ihn mit seiner Drehorgel von Straßen und Plätzen, vom Sektstand des Sportvereins an Kerb und mit rotem Schal, Mütze und T-Shirt auf dem Weg zum Bieberer Berg nach Offenbach. Er ist der Mann, der wohl schon mehr Plakate geklebt hat als so manche Partei; denn bei ihm ist das ganze Jahr Wahlkampf, ein Werben für Comedy-, Kabarett- und Musikveranstaltungen, vor allem im Bürgerhaus Bischofsheim. Er ist der Mann, der mit dem Bürgerpreis der Gemeinde ausgezeichnet wurde, weil er seit Jahren das kulturelle Leben bereichert. Er ist das Ho von HoTi-Events, ein Hans Dampf in allen Gassen: Mit Namen Holger Schneider, von Beruf Grundschullehrer, von Passion Kulturmanager, glücklich, wenn er unterhalten kann, zufrieden, wenn seine Gäste auf der Bühne dafür Garanten sind, dass im Publikum gelacht, getanzt und geklatscht wird. „Die Leute gehen beseelt nach Hause“, das freut ihn und das treibt ihn an.

 

Holger Schneider stammt aus einer alten Schausteller-Familie. Opa Heinrich war stolzer Besitzer eines doppelstöckigen Pferdekarussells, das es von Holland sogar in die USA schaffte, von einem Freundeskreis aber wieder nach Deutschland ins benachbarte Dreieichenhain überführt wurde. Vater Karl-Heinz und Mutter Helga betrieben einen Schießstand und ein Kinderkarussell. Holger und der ältere Bruder waren immer dabei, haben mitgearbeitet und somit Kindheit und Jugend damit verbracht, die Freizeit anderer zu gestalten. Das prägt. Und wer dann noch von sich sagt: „Ich bin ein Sammler“, der vermutet richtig, wenn er Hof und Haus seines Elternhauses in der Ludwigstraße betritt, dass es einiges zu sehen gibt.

 

25 Jahre Programmarbeit für Konzerte und Kleinkunst 

Als in Bischofsheim die Kerb wegen der Pandemie nur digital stattfinden konnte und unter dem Motto „Kerb dahoam“ gestreamt wurde, war die Bühne des Bürgerhauses für Bierprobe und Weinverkostung mit allerlei Erinnerungen des Initiators Holger Schneider dekoriert. Ausgestellt waren zwei Frauenfiguren des Orchestrions mit je einer Lampe in Händen, die handgemalten Fronten der Buden rahmten die Szenerie, ebenso wie die Leisten mit den Röhrchen, die es früher mit dem Luftgewehr zu treffen galt. In den Ecken ein Kasten mit schwebenden Luftballons und ein hölzernes Reitschulpferd mit Stange zum Festhalten. Der Unimog als Zugmaschine steht noch immer in der häuslichen Garage, im Treppenhaus ein Grammophon und hier und da hängen historische Details - auch aus der Geschichte seiner Heimat, beispielsweise die Leuchtreklame, die dereinst auf Ulis Pub an der Ecke von Rhein- und Mainstraße hingewiesen hat, samt einem Originaltisch mit Hochstühlen.

 

Mitten im Gespräch über sein Veranstaltungsmanagement holt er eine Kiste aus dem Nebenzimmer und zeigt mir Hunderte von Eintrittskarten. Sie dienen Holger Schneider als Gedächtnisstütze; denn er blickt mittlerweile auch schon auf 25 Jahre Programmarbeit für Konzerte und Kleinkunst zurück. Angefangen habe es, weil die SV 07 einmal das Risiko scheute, die Mainzer Musical Factory für einen Auftritt einzuladen. Mit seinem Freund Timo (das Ti von HoTi) Erckmann hat er sich zusammengetan „und einfach gemacht“. Die Macher hatten Erfolg, „Wizard of Oz“ war mit 600 Zuschauern ausverkauft und der 31. Mai 1997 die Geburtsstunde von HoTi-Events. Für die Plakate holten sie sich beim Sperrmüll die Bretter, mit Bürgermeister Berthold Döß verabredeten sie eine Partnerschaft mit der Gemeinde und mit dem Lokal-Anzeiger fanden sie den ersten Sponsoren. Aus dem großen Freundeskreis wurden die Helfer für Auf- und Abbau, vor allem fürs Catering rekrutiert. Bis zum heutigen Tag sind rund zwei Dutzend ehrenamtlich mit von der Partie.

 

Der Fritz Rau von Bischofsheim 

Timo sei dann irgendwann einmal weggezogen. Holger Schneider machte weiter mit dem kleinen Unternehmen für große Unterhaltung. Einmal gefragt, schwärmt er ohne Unterlass von den Musikern, wie den Rodgau Monotones, von den Crackers, den Straßenjungs und all den Tribute-Bands wie Völkerball, Stell Collins oder Hole full of Love, von den Beatles oder Simon & Garfunkel Revival Bands, insbesondere von Night Fever, bei der sein Freund Uwe „Hasi“ Haselsteiner einen der drei Bee Gees gibt; nachzulesen in einer der letzten Kolumnen. Überhaupt ist es die grandiose Eigenschaft von Holger Schneider, ein guter Gastgeber zu sein. Bestens vernetzt, gelingt es ihm immer wieder, viele Künstler für seine Veranstaltungen in der Region zu gewinnen. Urban Priol war mehrfach dabei, Lars Reichow, Tobias Mann, Oliver Mager, Matze Knop, Altmeister Karl Dall, und auch zwei Frauen weiß er aufzulisten: Alice Hofmann als „s’Hilde“ und Nessi Tausendschön. 

 

Sein Publikum sei zwischen 40 und 70 Jahre alt, da darf es auch schon mal ABBA sein oder ABCD, Jazz oder Blues, auf alle Fälle immer mit Tanzfläche und Sitzgelegenheiten. Das Mitsingen sei Teil der Rezeption, das emotionale Feeling schaffe bewegende Identifikation und „es ist das individuelle Wiedererkennen vom Besten, was Musik zu bieten hat“. Zu den Highlights zählt er den Auftritt von Wolfgang Ambros, der mit seinem Song „Ski foarn“ die Halle wuppte. Oder den von Fritz Rau mit seiner Autobiografie „50 Jahre Backstage“, dem legendären Konzertmanager der Rolling Stones, von Jimmi Hendrix, Madonna, Joan Baez und Peter Maffay, dessen Musical „Tabaluga“ er produzierte. „So einen wie den HoTi brauchen wir“, soll laut Lokal-Anzeiger Fritz Rau 2012 beim 15-jährigen Jubiläum gesagt haben und verschmolz sogar schon die Person Holger Schneider mit dessen Tätigkeit als Veranstalter. Die Main-Spitze kürte ihn damals schon als den Fritz Rau von Bischofsheim.

Vom Möglichmachen kultureller Kommunikation  

Mit einigen seiner Stars pflegt er nicht nur freundschaftliche Beziehungen, sondern ist mittlerweile auch ihr Tourmanager. Von Anfang an dabei: das Darmstädter Kikeriki-Theater, das ansonsten vornehmlich in der eigenen Comedy-Hall auftritt, aber regelmäßig auch in die Mainspitz-Metropole kommt. Stil und Erfolg entstanden aus der Lust am Theatermachen: „Stücke schreiben, Puppen bauen, Dekorationen und Ausstattungen fertigen, komponieren, inszenieren und spielen, spielen, spielen“, schreiben die Allroundkünstler auf ihrer Website. Holger Schneider schätzt sie ebenso als „Mundart-Akrobaten“ wie den Begge Peter und Ramon Chormann. Der Kabarettist Peter Beck verkleidet sich mit Hut und Hornbrille, grauem Hausmeisterkittel und falschen Zähnen und erzählt urkomisch aus dem Alltag seiner Mitmenschen. Ramon Chormann kommt ebenso wie der Begge Peder aus der Fastnacht. Als „De Pälzer“ wurde er bei den Mombacher Bohnebeitel als launischer Beobachter berühmt, der authentisch erzählt und gelegentlich humorvoll überspitzt.

 

Holger Schneider macht möglich, was es an kultureller Kommunikation in der Kommune braucht: Open Air unter der Eiche am Sportplatz, eine musikalische Kerb rund um die Evangelische Kirche, „Zusammengucke“, wenn die deutsche Fußball-Nationalmannschaft Weltmeister wird. Für den Ortsgewerbeverein textet er auf Bannern „Laaft net fort, kaaft im Ort“, wirbt für den Weihnachtsmarkt und lässt zur fünften Jahreszeit in rot-weiß-blau-gelben Farben plakatieren. In Rüsselsheim hat er die „Kleinkunst-Hölle“ im Hotel am Main begründet, in „Alt-Orschel“ ein Äppelwoi-Hoffest und „Uff‘m Schloss“ in Lichtenberg am Odenwald ein Comedy-Festival. Bei ihm findet immer was statt, wenn es denn stattfinden kann. Die Pandemie hat vielen Planungen den Garaus gemacht. Auf der Facebook-Seite von HoTi-Events wird derzeit nur ein Auftritt beworben, ansonsten hieß es in den letzten zwei Jahren: „Wir suchen immer weiter nach Möglichkeiten Veranstaltungen, natürlich unter Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln, anzubieten.“ Den 2741 Followern ruft er zu: „Kultur erhalten! Muss jetzt Motto sein!“

 

Zum Jubiläum Open Air im Opel Altwerk 

Die Main-Spitze schrieb schon am 1. April 2020: „Zahlreiche Veranstaltungen sind von Ausfall oder Verschiebung bedroht. Vor allem quält die Ungewissheit.“ Und immer wieder schwingt mit, dass nicht alle gleich begeistert sind, wenn er zum Mitmachen einlädt. Eine besondere Fehde pflegt er mit Verwaltung und Politik und hat sich auch schon mal zur Äußerung hinreisen lassen: „Ich habe nie Rückhalt gespürt!“ (Rüsselsheimer Echo vom 5. April 2017) Ob er weitermacht, habe ich ihn zum Abschluss unseres Gespräches erst gar nicht gefragt, obwohl er es damals im Frust mit einem öffentlichen Schreiben verkündet hat. Bischofsheim braucht HoTi-Events, die hiesige Kulturlandschaft lebt eben auch vom Engagement eines Holger Schneiders, der so ganz nebenbei auch jedes Jahr für die Tafeln in der Mainspitze spendet. Und dann verrät er mir doch noch sein bisher streng gehütetes Geheimnis: Zum Jubiläum ab dem 31. Mai gibt’s wieder Musik und Kabarett, als Open Air im Opel Altwerk.



31.03.2022