aufgenommen von Wilhelm Fauth am 30. Mai 1913
Stadtschreiber Hans-Benno Hauf sorgt dafür, dass Geschichte in Ginsheim-Gustavsburg weiterlebt. Auf diesen Ostersonderseiten entführt uns Hans-Benno zwischen Altrhein und Mainzer Straße und lässt – wie die Hoffnung an Ostern – Erinnerungen an das Gasthaus Schnecko zurückkehren.
An schönen Sonntagnachmittagen sind Mainzer Familien oft mit der Ginsheimer Weißen Flotte von Schrepfers nach Ginsheim unterwegs. Besonders zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg strömen die Ausflügler in Scharen vom Anlegeplatz durch die noch kaum bebaute Ringstraße (1) in die Mainzer Straße 9 zum Gasthaus Schnecko, der Wirtschaft „Zur Stadt Mainz“. Das Hoftor ist offen, lange Tische und Gartenstühle stehen bereit, teils unter einem Schatten spendenden Pfeifenstrauch oder in Nachbarschaft von Blumenkübeln mit Oleander, Geranien, Yukalilien und mannshohen Kakteen. Es gibt immer Kaffee und Kuchen, häufiger Äppelwoi, Handkäs mit Musik oder Hausmacher Wurstbrot. Männervergnügen auf der Kegelbahn im Hof oder Haustierzoo für die Kinder in den angrenzenden Ställen, zutraulichen Katzen und dem Hofhund an der Kette vor seiner Hütte.
Wochentags öffnet sich von acht bis neunzehn Uhr die Vielseitigkeit eines Familienunternehmens als wahrer Kolonialwarenladen mit einem großen Kohlenhof gegenüber dem Wohnhaus.
Die Unternehmergeschichte beginnt, nachdem Friedrich Schnecko I seinen rechten Arm bei einem Arbeitsunfall beim Bau der Eisenbahnbrücke (2) nach Mainz der Klettfabrik (3) in Gustavsburg verliert. Der Junginvalide versucht seinen Lebensunterhalt mit einem Bauchladen am Werkstor in Gustavsburg zu verdienen und schenkt in seinem kleinen Elternhaus in der Mainzer Straße 8 (4) Getränke aus. 1872 heiratet Friedrich die Schustertochter Katharina Traupel aus der Wilhelmstraße 2. Beide kaufen 1874 das Haus Mainzer Straße 9 und bauen es um und aus.
Im gleichen Jahr wird der einzige Sohn Friedrich Schnecko II geboren, der den Betrieb bis 1936 mit den drei Töchtern fortführt und erweitert. Kurzzeitig vor 1900 ist der Unternehmensgründer mit Hilfe der sieben Söhne seiner Schwester auch Backsteinfabrikant auf dem lehmigen Gelände östlich des späteren Gustavsburger Strandbades in der Nähe des Rheindammes.
Als Kind oft zu Besuch und 1931 und 1932 in dem Ginsheimer „Supermarkt“ bei Tante Lorchen und Onkel Schnecko beschäftigt ist Leni Hummel geb. Volz. Sie erinnert sich an das Sortiment Kälberstricke, Kuhketten, Erntestricke, Kordel für Mähbinder, Samen für Klee, Dickwurz, Runkelrüben, Zuckerrüben, Spaten, Schaufeln, Harken, Heurechen, Besen, Viehfutter (Muskator, Garnelen, Fischmehl für die Hühner), Nägel mit und ohne Kopf, Schrauben, Vorhängeschlösser, Salzheringe aus dem Fass, Bismarck-, Bratheringe, Rollmöpse stückweise, Kabeljau und Schellfisch. Freitags fährt Friedrich II mit dem Boot nach Mainz und gibt die Bestellungen auf. Kaffeebohnen im Sack gekauft, in einer kleinen Kammer vom Hausherrn geröstet und 125 Grammweise in Doppelwandtütchen für sonntags verkauft, denn unter der Woche ist selbst aus gerösteter Gerste hergestellter Malzkaffee im Angebot. Klumpen Zucker und Salz beim Abwiegen macht die Hausherrin Voraussagen auf Regenwetter. Angeschnittener Käse wird unter Glas gelagert. In einem Drogerieschrank ist alles ohne Rezept für Krankheits- und Unfälle (5) vorrätig. Wer Flaschen mitbringt, bekommt Essig und Öl abgemessen. An Waschmittel sind Persil, Henko-Bleichsoda, Sil, Schmierseife, Kernseife, Toilettenseife und Nivea-Creme beliebt. Wolle, Stricknadeln, Garn und Knöpfe gibt aus der Schublade unter der Theke, Zinkeimer und Bohnerwachs stehen daneben, für die Kinder sind Tafeln, Griffel, Hefte, Bleistifte und Federhalter vorgehalten. Unter Glas lachen Cremehütchen und Schokolade á 5 oder 10 Pfennige an. Bonbons (6) werden in großen Blechdosen angeliefert. Wenn sie leer sind kommen sie zum Spengler Fellhauer. Der macht sie wasserdicht, bringt Ösen an und mit Riemen von Sattler Fischer entstehen Schwimmbüchsen für Übungen im Rhein. Briketts, Nusskohlen und Koks kommen mit Schiffen in den Altrhein, werden mit Schrepfers Kran in Pferdefuhrwerke umgeladen und gleich zu den Kunden oder in den Kohlenhof gebracht. Daneben aus dem großen Nutzgarten (7) geht die Ernte der Obstbäume, Beeren und des Gemüses in die Gasthausküche. Das Bienenhaus versorgt Friedrich, der den geschleuderten Honig im Laden verkauft. Auf dem Hof versorgt ein Knecht die Ställe mit Kühen und Schweinen und einem Pferd sowie das Kelterhaus. Hier werden lastwagenweise Äpfel angeliefert, gewaschen, gemahlen, gepresst und abgefüllt, besonders der schmackhafte mit „Speierling“ verfeinerte Apfelwein. Berühmt die abendlichen Schlachtfeste mit Wurstsuppe, Bratkartoffeln, Apfelbrei mit Rosinen, Blut-, Leber- und Bratwurst, nach getaner Arbeit von Metzgermeister Kröll.
Ab 1927 finden die Singstunden im Saal des spitzgiebligen Anbaus statt, den die Sänger auf einer Außentreppe erreichen. 1936 baut Friedrich II auf seinem Gartengelände in der Ringstraße ein neues Haus mit Lebensmittelgeschäft für die Tochter Margarethe, mit Richard Raab verheiratet. Noch während der Hochzeitsreise der beiden stirbt am 28.12.1936 Vater Friedrich Schnecko. Sohn Fritz führt mit seiner Mutter und später mit Frau Maria Gastwirtschaft und Kohlenhandel. Er stirbt Ende des Zweiten Weltkriegs in russischer Gefangenschaft. Der Sohn Gustav Schnecko, Jahrgang 1939, findet eine Beschäftigung beim Flughafen Frankfurt, das Lebensmittelgeschäft Raab gegenüber weicht um 1980 der Konkurrenz der Supermärkte am Ortsrand. Hier zieht ein Elektrogeschäft ein.
Quellen: Nach Erinnerungen von Leni Hummel geb. Volz, Maria Schorr, geb. Schnecko, Margarethe Raab, geb. Schnecko, aufgezeichnet von Dr. Hildegard Kastrup geb. Schorr im Dezember 1998; Datensammlung Zeitleiste von Hans-Benno Hauf, Stand Dezember 2021
1 dem ehemaligen nördlichen
Ortsdamm
2 1859 - 1862
3 später MAN Werk Gustavsburg
4 Lange nach seinem Tod 1914 wird
dort seine Armprothese gefunden,
die er nach dem Umzug 1874 dort
zurücklässt
5 eine Apotheke gibt es in Ginsheim
erst 1949
6 1871 Brust-Bonbon „Arabische
Gummi-Kugeln“ von Stuppel aus
Alpirsbach
7 in der Ringstraße von der Mainzer
Straße bis zum Haus Ambach
Aufnahme zwischen 1920 und 1930
Postkarte ca. 1920
aufgenommen von Wilhelm Fauth
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