Wenn Möpse Schnäpse trinken und Veilchen im Moose philosophieren

Bischofsheimer Poesieabend platzt aus allen Nähten

Poesie ist verstaubt und nur etwas für melancholische Sofaliebhaber mit Faible für Goethe-Zitate? Am Welttag der Poesie am 21. März bewies die Bücherei Bischofsheim das glatte Gegenteil – mit einem musikalisch-literarischen Abend, der so gar nichts mit stiller Lyriklesung vorm Kamin zu tun hatte.

 

Geplant war ein gemütlicher Abend mit vierzig Stühlen zwischen den Bücherregalen. Tatsächlich kamen über achtzig Menschen. Man rückte zusammen, stand an den Wänden oder kuschelte sich spontan in metaphorische Metaphern – kurzum: Die Poesie hatte Konjunktur, und das nicht zu knapp.

 

Ein Abend im Zeichen der Freundschaft, Feinsinnigkeit und Frotzelei

Den Auftakt machte Büchereileiterin Doris Pichler, charmant und erfreut ob der überbordenden Publikumsdichte. Danach war die Bühne frei für das Trio infernale des Abends: Moderator und Poesieprofessor Dr. Wolfgang Schneider, Opernsängerin Nora Weinand und Pianist und Generalmusikdirektor Stefan Finkenauer.

Unter dem Motto „Blumen welken und verblüh’n, nutz‘ die Stunden, eh’ sie flieh’n“ führte Professor Schneider durch die Kulturgeschichte der Poesiealben. Dabei ließ er tief blicken – unter anderem in das Album seiner Großmutter Anna Stieglitz von 1908, das sich als wahres Sammelsurium von Sinnsprüchen, Liebesbotschaften und biblisch fundierter Lebenshilfe entpuppte.

 

Zwischen Tugendlehren und Textperlen

Was ist Poesie? Wikipedia sagt: „Kurze Gedichte.“ Der Duden sagt: „Bezeichnung für literarische Gattungen.“ Professor Schneider aber sagt: Poesie ist das, was entsteht, „wenn die Möpse Schnäpse trinken“, wie der selige James Krüss so schön dichtete. Und damit war der Ton des Abends gesetzt: geistreich, charmant und mit einem Augenzwinkern.

Natürlich durften Klassiker nicht fehlen: Wilhelm Buschs Balduin Bählamm lieferte den satirischen Tiefgang („Wie wohl ist dem, der dann und wann, sich etwas Schönes dichten kann!“), James Krüss steuerte dadaistischen Reim-Unsinn bei, und Peter Rosegger erinnerte daran, dass ein bisschen mehr Güte nie schadet – nicht im Album, nicht im Leben und schon gar nicht in Zeiten von Kommentarspalten im Internet.

 

Musik, die nach Tinte duftet

Zwischen den Worten sorgte Stefan Finkenauer für musikalische Poesie am Klavier. Von Lady Gagas „Always Remember Us This Way“ bis zur nostalgischen „Biene Maja“ – die Tasten erzählten ihre ganz eigenen Geschichten. Dazu Nora Weinand, die mit Liedern wie „Que Sera, Sera“, „La vie en rose“ oder ihrer Eigenkomposition „Mein Poesie­album“ mal Gänsehaut, mal Schmunzeln und immer Applaus provozierte.

Der große Moment kam, als das Publikum selbst zu Wort kam. Zahlreiche Damen (ja, es war eindeutig ein weiblich geprägter Brauch) öffneten ihre alten Poesiealben und präsentierten tugendtriefende Verse aus Kindheitstagen. Mal rührend, mal regelrecht absurd. Ein Favorit des Abends:

„Wenn dich die bösen Buben locken, dann bleib’ daheim und stopfe Socken!“

Nicht wenige schüttelten lachend die Köpfe – Emanzipation sei Dank.

 

Poesie mit Augenzwinkern und Ohrwurm-Garantie

Den krönenden Abschluss bildete ein musikalisches Freundschafts-Medley: Von „Echte Freunde“ über Franz Beckenbauers legendäres „Gute Freunde kann niemand trennen“ bis hin zu „Ein Freund, ein guter Freund“, das gemeinsam mit dem Publikum geschmettert wurde. Und wer da noch nicht sentimental wurde, wurde es spätestens bei der Zugabe: „Guten Abend, gute Nacht“, gesungen von Nora Weinand – ein Wiegenlied, das nach Glitzerstaub und Poesiealbum roch.

 

Poesie lebt – und wie! In Bischofsheim hat sie das Regal verlassen und sich mitten unter die Leute gemischt. Mit Witz, Wärme und einer kleinen Prise Wahnsinn. Wer da nicht war, hat etwas verpasst – aber keine Sorge: Die nächste Seite im Bischofsheimer Poesiealbum ist bestimmt schon frei.

 

„Und reißt mir keine Blätter raus – sonst ist es mit der Freundschaft aus.“

 

Lena Finkenauer



neuesausdermainspitze.de // 10.04.2025