Flüchtlingshilfe Mainspitze – Erste Gespräche in IGS-Hallen

Vorne v.l.n.r.: Britta Sauer, Dörte Numsen (evangelische Kirche Ginsheim), Renate Schellhaas, Yolanda von der Heide (Top-Team)

Hinten v.l.n.r.: Matthias Thon und Dennis Wildhirt (Facebook-Gruppe Bischem), Patrick Pfannschmidt (Stadtteilbüro der Caritas Bebel13), 

Niklas Grimm (Zahnarzt) und Markus Späth (Facebook-Gruppe GiGu).  

Hut ab vor Yolanda und Alexander von der Eventagentur TopTeam. In einer Woche verwandelten sie die Sporthallen der IGS-Mainspitze in ein Unterkunftszentrum für Geflüchtete mit Spielecken, Wäschekammer, Cateringzelt, Duschen, Empfang, Bürocontainer und sogar einer kleinen Tierstation. Auch die Persönlichkeiten des Teams sind top – Zusammenhalt, Sozialkompetenz und Improvisationstalent eine Selbstverständlichkeit. Unabhängig davon empfanden alle Beteiligten den Start als herausfordernd. „Alles ist noch neu. Am vergangenen Donnerstag kamen schließlich erstmals Menschen in die Notunterkunft an der IGS. Die Ankunftszeit der Busse aus Gießen wird oft sehr kurzfristig durchgegeben, das verursacht manchmal Stress. Aber die Aufgabenverteilung ist klar geregelt. Wenn sich die Kommunikationswege zwischen Dienstleister und Kreis eingespielt haben – und das geht ganz schnell –, weiß jeder der Beteiligten, was er zu tun hat, egal ob es z.B. um das Auszahlen von Geld, um Registrierung, Unterbringung von Tieren oder Gesundheitsvorsorge geht“, sagt Landrat Thomas Will.

 

 

Für die Erstanlaufstation in der IGS-Mainspitze sucht Yolanda von der Heide derzeit nicht nur kurzfristig Beschäftige, sondern fand in Zahnarzt Niklas Grimm einen treuen Unterstützer, der mangelnde medizinische Versorgungsstrukturen der ersten Tage durch Eigeninitiative ausglich. „Für Arztbesuche benötigen die Menschen Dokumente, auf die wir noch warten. Allerdings leiden manche an Fieber, Übelkeit oder Diabetes. Glücklicherweise erhalte ich mit meinem Ausweis die Medikamente in der Apotheke und bezahle sie erst einmal selbst“, berichtet der junge Zahnarzt, der durch seine sympathtisch-empathische Art bereits wenige Stunden nach seinem ersten Einsatz am Freitag weitere Überzeugungstäter anzog. So trafen sich am Samstagvormittag die Administratoren der Facebook-Gruppen der Mainspitze Matthias, Dennis und Markus, Patrick Pfannschmidt von der Sozialberatung der Caritas Bebel 13, Britta Sauer, die Vertreterin der evangelischen Kirche Ginsheim Dörte Numsen und Renate Schellhaas mit umfangreicher Erfahrung im Bereich Geflüchtetenhilfe in der IGS-Mainspitze, um ihre Unterstützung anzubieten. Ach ja: Und als Niklas Medizinprodukte in der Mainspitz-Apotheke abholen und bezahlen wollte, überreichte man ihm gleich mehrere Blutzuckermessgeräte mit Teststäbchen und den Worten: »Passt so – wir helfen gerne!“

Zwischenzeitlich wurde der Schein für Arztbesuche und Medikamente verteilt, so dass Leistungen für Geflüchtete von Apotheken und Ärzten abgerechnet werden können. Die Kreisverwaltung informiert Apotheken der Region über das Procedere. 

 

Respektvoll und mit Einfühlungsvermögen bewegen sich die Besucher am Samstag durch die Notunterkunft. Mit jedem Geflüchteten suchen sie Augenkontakt und grüßen einladend – wohlwissend, welche Schicksalsschläge sich hinter den traurigen Augen verbergen. Schnell wird klar: Ein vielfältiger Bedarf an Unterstützung und Materialien besteht, aber auch die unkomplizierte Bereitschaft zur Hilfe ist vorhanden. Wenige Sekunden, nachdem Yolanda und Niklas fehlende Ladegeräte für Smartphones oder Babykinderwagen aufzählen, scannen die Facebook-Profis die von ihnen gegründete Gruppe „Flüchtlingshilfe Mainspitze“ nach passenden Einträgen ab, während Patrick von der Bebel13 Babybedarf herbei telefoniert. Es ist unter anderem diese Individualhilfe, die Yolanda und ihr Team freut. Dennoch sind sie vorsichtig mit umfangreichen Spendenaufrufen, denn „Annahme-, Sortierungs- und Lagerkapazitäten sind hier nicht vorhanden“. 

Weil die Gesamtsituation zwischen traumatisierten Menschen in den IGS-Hallen, umfangreichen Hilfsangeboten auf Facebook und täglichem Dazulernen des TopTeams viel Flexibilität verlangt, verständigten sich die Anwesenden auf einen behutsamen und individuellen Austausch. Renate Schellhaas stellt Kontakte für mögliche Fahrdienste her, Dörte Numsen wies auf Räumlichkeiten der evangelischen Kirche am Altrhein hin und die Facebook-Admins Matthias, Dennis und Markus boten an, die Hilfsangebote, die in den Facebook-Gruppen geteilt werden, zu moderieren und weiterzuvermitteln. 

 

Ein Haarschnitt an Karfreitag

Als Kerstin Felmer vom Friseursalon Hair Design (am Ginsheimer Friedrich-Ebert-Platz) erfuhr, „dass sich manche Geflüchtete über einen Haarschnitt freuen würden“, zögerte sie nicht lange und organisierte über ihre Kontakte eine Hand voll Friseure, die an Karfreitag den Menschen in der IGS-Halle einen kostenlosen Haarschnitt anbieten. „Wir können die Erlebnisse nicht ungeschehen machen, aber ein frischer Schnitt der Haare leistet einen Beitrag zum Wohlbefinden“, so Friseurmeisterin Kerstin.

 

Facebook-Gruppen für Vernetzung

Einig sind sich Matthias Thon und Dennis Wildhirt (Bischofsheimer Facebook-Gruppe) und Markus Späth (Facebook-Gruppe GiGu), dass sie mit ihren umfangreichen Netzwerken (insgesamt rund 10.000 Mitglieder) eine besondere Verantwortung in Sachen Vernetzung tragen. „Wir spüren, wie die Bereitschaft zu helfen und das Interesse an der Flüchtlingshilfe wächst. Gerne leisten wir mit unseren Netzwerken und Kontakten einen Beitrag zur Vernetzung und Koordination. Eine Willkommenskultur gegenüber den Geflüchteten ist uns ein persönliches Anliegen. Dass die Menschen ein Stück Lebensfreude zurückgewinnen, halten wir für eine Aufgabe, die nur als Gemeinschaft bewältigt werden kann“, so Matthias, Dennis und Markus.

So unterschiedlich wie die Hilfsangebote sind auch die Geflüchteten selbst. Derzeit (Stand: letztes Wochenende) halten sich rund 80 Menschen aus der Ukraine in der Erstanlauf-Station auf, bevor sie auf Wohnungen im Kreisgebiet verteilt werden. Sie sind zwischen drei Monaten und 70 Jahre alt. Manche reisten mit mehren Koffern, andere erreichten die Unterkunft mit einer durchweichten Papiertüte. Ich selbst hielt mich rund anderthalb Stunden in der Unterkunft auf und verließ die Halle mit einem nachhaltig melancholischen Eindruck. Obwohl es mir schwer fällt zu erahnen, wie sich die Geflüchteten fühlen, überzeugte mich der Besuch, dass sie bei Yolanda und ihrem Team in guten Händen sind – auch wenn ich mich frage, wie die feinfühligen Teammitglieder ihre persönlichen Eindrücke selbst einordnen.

Axel S.


Bei der Flüchtlingsunterkunft in den IGS-Turnhallen handelt es sich um eine Erstanlaufstation. Geplant ist, dass Geflüchtete dort Donnerstags aufgenommen und erfasst werden und zu Wochenbeginn auf Wohnungen verteilt werden.




14.04.2022