Wohnen in der Mainspitze

Ein Mensch ohne Träume ist wie ein Boot ohne Segel

Axel, komm’ rein – Alexa Licht an“ sagt Katarzyna Hoffmann, als sie mich durch ihre Wohnung in den historischen Mauern des ehemaligen Fort Mainspitze führt. Heute dient der Rest des 1846 erbauten Teils der Mainzer Bundesfestung als Unterkunft des Segelclubs Mainspitze, für den Katarzyna als Hausmeisterin arbeitet. Mit modernen Einrichtungselementen gestaltete sie mit ihrer Familie im naturbelassenen Gewölbe einen einzigartigen Lebensraum. Die Symbiose aus alt und neu unterstreicht dabei ihre Haltung zu Vergangenem. „Natürlich koche ich auf einem neuen Herd. Zum Highlight wurde die Küche aber erst, als wir die alten Tapeten entfernten und das schöne Mauerwerk sichtbar wurde“, erinnert sich Katarzyna, die von Freunden abgekürzt „Kasia“ genannt wird. Bei meinem Besuch hörte ich von Mitgliedern des Segelclubs ausschließlich die Abkürzung ihres Namens, wenn sie ihre Hausmeisterin freundlich grüßten, was Kasia mit den Worten „das Verhältnis zu den Seglern ist sehr freundschaftlich – ich fühle mich wie in einer großen Familie“ kommentierte. 

 

Das Vereinsheim des Segelclub Mainspitze ist das einzige Überbleibsel des Forts, welcher Mitte des 19. Jahrhunderts auf der Mainspitze errichtet wurde. Er war Teil der Bundesfestung Mainz zur Sicherung der Stadt nach Osten. Rund 165 Jahre später zog Katarzyna Hoffmann mit ihrem Mann René, ihrer Tochter Jessica und Hund Bruce in die heutige Hausmeisterinnen-Wohnung des Segelclubs ein. „Ich sah das Gebäude und die Wohnung erstmals im November und schaute vom Tor auf ganz viel Matschepampe. Als die Sonne herauskam, dachte ich »im Frühling könnte das was sein« und zog mit meiner Familie im März 2009 ein“, erzählt Kasia. Seitdem gewöhnte sie sich nicht nur an die außergewöhnliche Behausung, sondern verliebte sich regelrecht ins Umfeld: „Ursprünglich komme ich aus Schwäbisch-Hall, lebte direkt vor unserem Einzug hier in Kostheim und sage heute »das ist die schönste Wohnung, die ich je hatte«“. Außergewöhnlich ist für sie dabei nicht nur, dass sie beim Blick von ihrer Terrasse stets eine Mischung aus Natur, Geschichte und Segelbooten genießt, sondern auch, welche Erinnerungen sie mit dem gesamten Gelände verbindet. „Die Kindheit meiner Tochter spielte sich hier ab. Ihre Freunde und Eltern waren immer willkommen, blieben freiwillig lange und wir hatten eine tolle Zeit. Bei Kindergeburtstagen störten wir niemanden und ich bin sicher, dass meine Tochter diesen Vorteil nutzt, um in vier Jahren ihren 18. Geburtstag zu feiern“, so Kasia. 

 

„Kinder sind für mich alles“

Ein gutes Verhältnis zu jungen Menschen besteht bei Kasia nicht nur zu ihrer Tochter Jessica, sondern auch zu vielen anderen Kids, die sie in der Schulkinderbetreuung Gustavsburg kennenlernte. „Jessi ging zur Betreuung. Dort sprach man mich eines Tages an, ob ich helfen möchte. Ich sagte »ja« und hatte ab sofort statt nur einem Kind 90 Schützlinge. Seitdem kümmere ich mich um die Essensausgabe und genieße es, eine Ansprechpartnerin für die Kinder zu sein. Es erfüllt mich“, sagt Kasia freudestrahlend.

 

Ein Gnadenhof vor der Haustür?

Wenig Erfolg hingegen hat Kasia mit dem Anbau von Gemüse. „Anpflanzen geht nicht so gut. Kaninchen und Rehe kommen vorbei und fressen alles weg, so dass ich es jetzt mit einem Kräutergarten auf unserer Terrasse probiere“, sagt Kasia, die den Gemüse-Räubern allerdings keinesfalls böse ist. Im Gegenteil: „Auch die Tiere gehören zum Umfeld und damit zur Familie. Mittlerweile schaffe ich es auch nicht mehr, Reh oder Kaninchen auf dem Teller zu essen“, so die Hausmeisterin des Segelclubs. In ihrer Vorstellung geht die gewachsene Tierliebe sogar noch weiter. „Wenn ich viel Geld gewinnen würde, würde ich wahrscheinlich einen Gnadenhof aufmachen. Allerdings bereitet mein Traum meinem Mann etwas Angst. Ich glaube, er befürchtet, dass ich mich in noch mehr Geschöpfe verliebe und er nur noch Salat zu essen bekommt“, erzählt Kasia lachend.

 

Natürlich gibt es – wie bei jeder Traumbehausung – auch im Fall von »Kasia im Segelclub« Dinge, die nicht zu 100 Prozent perfekt sind. „Einkaufsmöglichkeiten gibt es nicht direkt um die Ecke, aber das ist in Ordnung. Sehr schade finden wir es, wenn Besucher der schönen Mainspitze Bierflaschen, Fastfood-Verpackungen oder anderen Müll vor unserem Tor oder in der Natur hinterlassen. Es tut weh, das zu sehen und wir wünschen uns ein Umdenken“, sind sich Tochter Jessica und Mutter Kasia einig.

Axel S.



28.04.2022