„Bischemer iss, wer Bischemer sein will“, so könnte es heißen, wenn man ein Zitat des ersten hessischen Ministerpräsidenten, Georg August Zinn, auf unsere Kommune abwandeln würde. Der hatte nämlich schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg gesagt: „Hesse ist, wer Hesse sein will“. Das war und ist in Bischofsheim noch nicht bei allen so angekommen. Denn die Geschichte von Nicola Tommasone, der wohl einer der ersten „Gastarbeiter“ vor Ort war, beginnt mit leidvollen Erfahrungen. „Die Leute waren nicht gut auf Ausländer zu sprechen“, sagt er mit Bedauern und erzählt auch davon, dass er selbst mit seiner Frau noch aus den meisten der damals 13 Gastwirtschaften rausgeschmissen wurde.
Mit dem Sonderzug zur Aufbauhilfe
Nicola Tommasone wurde am 30. April 1939 im italienischen Lesina im Kreis Foggia geboren, musste sich mit seiner Mutter im Wald vor Bombenangriffe der Alliierten schützen und schon bald nach der Scuola Elementare „kleines Geld verdienen“. Sein Meister war ein Jahr in Deutschland und schickte ihm per Post einen Arbeitsvertrag. „Aber ich wollte nirgendwo hingehen!“ Und doch waren beruflichen Perspektiven im heimatlichen Dorf eher bescheiden. Also begab er sich zur vorgeschriebenen Untersuchung ins Krankenhaus nach Verona und von da mit 1000 weiteren Arbeitswilligen mit einem Sonderzug nach München. Möglich war das, weil Kanzler Konrad Adenauer mit seinem Kollegen in Italien einen Vertrag zur „Aufbauhilfe“ vereinbarte. 1959 war er an Baustellen in Neu-Isenburg engagiert, ein Jahr später kam er mit den Worten nach „Mainz-Bischofsheim“, „kenn ich nicht, aber finde ich schon“.
Beim Maskenball begann das neue Glück
Dort hatte die Firma Gebrüder Astheimer 30 Bauarbeiter „bestellt“ und der Senior-Chef persönlich holte ihn mit einer „Bahnsteigkarte“ ab. „In zwei schweren Koffern hatte ich Kuchen, Öl, Salami, Wein und Werkzeug.“ Und schon bald versuchte sich der „Gastarbeiter“ in die Kultur der Bischofsheimer zu integrieren. Zum Maskenball im Saalbau in der Bahnhofstraße zog er sich seinen dunklen Anzug an, mit weißem Hemd und Schlips, und setzte sich mit einem Kollegen an einen Tisch. Aber da blieb er nicht mehr lange. Denn von der Empore wurde er von Irmgard Halbmann beobachtet, die aus Kostheim stammend mit ihrer Freundin auch zum ersten Mal an einer Fastnachtsveranstaltung teilnahm. Und mit den Worten: „Den hol ich mir jetzt zum Tanzen“ begann das neue Glück.
Die nächste Generation will wieder Italienisch lernen
1962 war Hochzeit, und auch das war nicht ganz einfach: Seine „mamma mia“ war dagegen und auch die Eltern der Braut. „Erst zum 21. Geburtstag haben sie sich mit meinem Freund abgefunden.“ Außerdem: Er katholisch, sie evangelisch, und das ging nur standesamtlich. Mittlerweile haben sie ihre Diamantene Hochzeit gefeiert und Ende des vergangenen Monats kamen die Kinder Rocco, Guido, Manuela und Marco mit den vier Enkeln zusammen, um den 85. Geburtstag des Padre Patrone zu begehen. Söhne und Tochter erinnern sich noch an 22 Stunden im PKW über die Berge zwischen Bischofsheim und Lesina als es noch keine Autobahn gab. Und die nächste Generation will wieder Italienisch lernen.
Professor Dr. Wolfgang Schneider
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