Mit den Worten „Herzlich Willkomen zu bunter Vielfalt – dafür steht dieses Haus seit 75 Jahren“ begrüßte Andrea Engler (Vorsitzende des Vereins Freunde der Burg-Lichtspiele) die 120 Gäste im Gustavsburger Lichtspielhaus. Im rund 45-minütigen Programm setzte der Verein die Vergangenheit und Gegenwart des Hauses in Szene und wagte einen Ausblick auf die Zukunft.
Zu den Klängen von Cello und Geige betraten die geladenen Gäste das Kinofoyer. Die mit dem Verein eng verbundene Cellistin MARA entwickelte speziell für diesen Abend ein musikalisches Rahmenprogamm mit der ukrainischen Geigerin Kateryna. „Kunst und Kultur verbindet Menschen weltweit. Die Klangbilder, die unseren Empfang einrahmten, sind auch ein Symbol für den Gewinn, der durch kulturellen Austausch entsteht“, beschreibt Andrea Engler die Botschaft des Abends.
Überraschungen standen ebenfalls auf dem Programm:
An mit Helium befüllten Ballons schwebte Popcorn durchs Foyer – eine Attraktion, die der Verein Rita Wiebe (Ballonkünstlerin und Mitglied der Kinofreunde) verdankte. Dder Prosecco, den der Verein zur Begrüßung reichte, wurde vorab – neben weiteren Winzerköstlichkeiten – in der Vinothek der Familie Bott ausgesucht und mit individuellen Etiketten versehen.
Die Geschichte der Burg-Lichtspiele in acht Minuten
Wie bei einer Buchverfilmung inszenierte der Verein mit den Stilmitteln Bild, Sprache und Musik die Historie des Hauses in Form eines Kurzfilms mit Livevortrag.
Andrea Engler erzählte über die Entstehung des Gebäudes und beschrieb die Vision und Schaffenskraft des Gründers Kurt Palm: „Der Gustavsburger Kurt Palm wollte ein Lichtspielhaus eröffnen und mietete dafür die ehemalige Notkapelle. Mit Rucksäcken und Taschen schleppte er Trümmersteine über die Behelfseisenbahnbrücke von Mainz nach Gustavsburg, um daraus einen feuerfesten Vorführraum zu bauen. Kurt Palm legte damit den Grundstein für Kunst und Kultur in der Gustavsburger Ortsmitte, der bis heute besteht.
Am 26. März 1947 erhielt er von der amerikanischen Besatzungsbehörde die Genehmigung, das Kino „Burg-Lichtspiele“ zu betreiben“ so Andrea Engler. In einem kurzen Intermezzo flackerten Werbedias vergangener Zeiten zu klassischer Kinoklaviermusik über die Leinwand. Die erzeugte Atmosphäre nutzte die Vorsitzende, um in die Neuzeit zu reisen: „So fühlte sich Kino früher an. Um das Erlebnis rund um die Besuche der Burg-Lichtspiele noch schöner zu gestalten, baute Kurt Palm 1952 die Gaststätte „Burgklause“ neben das Kino. Dass die Geschichte von Kunst und Kultur in diesem Raum weiter ging, verdanken wir einer politischen Entscheidung. – Also genau genommen zwei politischen Entscheidungen – aber eins nach dem anderen ...“. Während die Zuschauer Bilder der Burg-Lichtspiele von vor der Sanierung sahen, erläuterte Andrea, dass die Gemeinde das Haus 1986 erwarb um ein Kommunales Kino zu betreiben. 1993 wurde der beliebte Filmbetrieb durch die Veranstaltungsreihe „Achterbahn“ erweitert. So wurden auch Live-Veranstaltungen mit Kleinkunst, Artistik und Konzerten in den Burg-Lichtspielen etabliert.
Den drohenden Abriss des Theaters in der Darmstädter Landstraße beleuchtete sie aus der Vogelperspektive und nutzte die Gelegenheit, den damaligen und anwesenden Kommunalpolitikern ihren Dank auszusprechen: „Eine Sternstunde hatte das Gebäude im Jahr 2008. Die Sorge um den Zustand der Burg-Lichtspiele und ein drohender Abriss brachte die Liebhaber des Lichtspielhauses zusammen. Auch Kurt Palm, einst Gründer der Burg-Lichtspiele, war da, übernahm Verantwortung und setzte sich aktiv für den Erhalt der Gustavsburger Burg-Lichtspiele ein. Wir sind dankbar, dass wir durch ihn und die Hilfe unserer Vereinsmitglieder die Öffentlichkeit und unsere Kommunalpolitiker vom Wert dieses historischen Kulturzentrums überzeugen konnten. Unser Dank gilt auch den ehrenamtlichen Stadtverordneten, die damals mit dem Beschluss zur Sanierung des Gustavsburger Lichtspielhauses eine mutige und gute Entscheidung trafen“, so die Vorsitzende der Freunde der Burg-Lichtspiele Mainspitze.
Auch auf die Zeit während der Sanierung ging der Verein ein und erinnerte an den damaligen Kulturamtsleiter Karl Brauer, der gemeinsam mit dem Achterbahn e.V. das Theaterzelt am Burgpark konzipierte. „Das kleine Zweimastzelt bot Kino und Kleinkunst Asyl während der dreijährigen Sanierungsphase. Großer Dank gilt dem Gemeindemitarbeiter Norbert Neuber, der damals aus Europaletten, einem Container, einer Baustellenheizung und ein paar Brettern ein Theaterzelt mit Foyer, ansteigender Tribühne und Leinwand baute“, beschrieb die Vereinsvorsitzende.
2011 wurden die Burg-Lichtspiele so, wie wir sie heute kennen, wiedereröffnet. „Dass wir heute in diesen Wänden immer noch die gleiche Atmosphäre spüren wie damals, verdanken wir den Architekten Wagner und Ewald. Bei der Sanierung achtete das Architekturbüro behutsam auf eine würdige Transformation des alten Kinos in das sanierte, historische Gebäude. Immer, wenn wir mit dem Architekten über Materialien, Möbel und Raumaufteilungen sprachen, erinnerte Architekt Heinrich Wagner an den „Geist des Ortes“.
Seit der Wiedereröffnung wuchs das Kino- und Kultur-Programm stetig: Um eine inklusive TV-Sendung, die Konzertreihe Jazz im Kino, exklusive Empfänge, Filmklassiker mit Wein, kostenlosen Kinderprogrammen und vielem mehr.
Hart arbeiten kann jeder – die Balance halten nur wenige!
Nach „Geschichte auf der Leinwand“ folgte „Show auf der Bühne“. Hierfür lud der Verein Altmeister Gerd Voigt ein. Der Leipziger Varietékünstler lernte die Artistik in der Gefangenschaft der Staatssicherheit der DDR und präsentierte im Scheinwerferlicht der Burg-Lichspiele seine spektakultären Glasbalancen. Dabei stapelte er zu den Klängen von Rondo Veneziano Weinkelche und Kristallgläser, die er auf der Klinge eines Messers balancierte, das er mit dem Mund führte. Applaus für diese außergewöhnliche Darbietung.
Burg-Lichtspiele – ein Haus für alle
In einem sympathischen Gespräch unterhielten sich Schauspielerin und Moderatorin Carina Kühne, Bürgermeister Thorsten Siehr und der Achterbahn-Vorsitzende Axel S. miteinander. Carina steht gleichermaßen für Bühnenkunst und Kino, denn sie ist in beiden Genres zu Hause. Thorsten erlebte die politische Diskussion um die Sanierung des Hauses, ist leidenschaftlicher Musiker und ein Verfechter der Barrierefreiheit. Axel ist seit seinem 13. Lebensjahr eng mit dem Haus verbunden. Der Offenheit der Burg-Lichtspiele verdankt er seinen beruflichen Werdegang als Jongleur.
Dass die Inklusion von Menschen mit Behinderung in den Burg-Lichtspielen beispielhaft funktioniert, zeigte das Gespräch genauso, wie dass es noch Luft nach oben gibt. „Jetzt muss man sagen, sie ist barrierefrei für den Zuschauer. Aber – und das könnte noch eine Herausforderung der nächsten Jahre sein – ich würde mich freuen, wenn sie auch barrierefrei für die Akteure und Mitwirkenden ist, denn für die ein oder anderen ist es schwierig, hier auf die Bühne zu kommen. Und das ist eine Herausforderung, die sollten wir annehmen, damit dieses Haus wirklich komplett barrierefrei ist“, visionierte Thorsten Siehr. Aufgrund der Größe des Theaters wurde bisher noch keine Möglichkeit gefunden, die Bühne mit einer Rampe auch für Rollstuhlfahrer zugänglich zu machen. Nach Ausschnitten des Kinofilms „Be my Baby“, indem Carina Kühne die Hauptrolle spielt, erzählte die Schauspielerin von ihren Erfahrungen in den Burg-Lichtspielen und Karrierewünschen. „Es erfüllt mich, gemeinsam mit Axel die Achterbahn zu moderieren. Genauso gleichberechtigt wünsche ich mir auch mal, in einem Film nicht die Behinderte zu spielen. Gerne wäre ich mal Mörderin im Tatort“, so Carina.
Vereinsmaskottchen schaut zu tief ins Weinglas
Zum Abschluss des offiziellen Programms demonstrierten die Freunde der Burg-Lichtspiele die Mathematik von Kunst und Kultur. Denn hier gilt die Formel „1 + 1 = 3“. In einem Kunstprojekt arbeiteten Comiczeichner Michael Apitz und das Weingut Bott zusammen. Michael ist bildender Künstler und wurde u.a. durch die Comicserie „Karl der Spätlesereiter“ bekannt. Gabriele, Michael und David Bott sind Rheingauer Winzer mit Vinothek in Bischofsheim. Für die Jubiläumsfilmreihe der Freunde der Burg-Lichtspiele wählte das Weingut Bott Weine und Traubensäfte (es gibt auch Kinderfilme) aus. Michael Apitz kreierte für jeden Film mit Wein ein Etikett, welches Kinohit, Wein und die Burg-Lichtspiele gleichermaßen in Szene setzt.
Als großes Finale hauchte Künstler Michael Apitz einer weißen Leinwand, die von Beginn an auf der Bühne stand, mit einem Pinsel und etwas Farbe Leben ein. In weniger als fünf Minuten entstand durch ein paar Pinselstriche der „Komki-Hund“, der dem Kinoverein seit seiner Gründung als Maskottchen beiseite steht.
Danke
Sehr bewusst richtete Andrea Engler an diesem Abend den Dank der ans Kino angeschlossenen Vereine an die Gestalter des Hauses, die nicht mehr unter uns sein können. „Danke an Norbert Neuber, der das Theaterzelt ausbaute und sich um alle Reparaturen des Kinos kümmerte, Danke an Gertrud Pölzleithner, die gute Seele der Achterbahn und der Burg-Lichtspiele. Danke an Heinrich Wagner, dem Architekten, der das Haus liebevoll sanierte und sich auch für Details, wie die Gestaltung der Theke und Decksegel im Foyer einsetzte. Und danke an Kurt Palm, den Gründer der Burg-Lichtspiele, der das Haus nie im Stich ließ und mit seinem Kino zahlreiche Menschen inspirierte, sich kulturell zu engagieren … und dessen Frau bis heute an unserer Seite steht und uns gerade in der schwierigen Coronazeit Mut machte“, so die Vorsitzende der Freunde der Burg-Lichtspiele Mainspitze.
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