Bischofsheim muss Abschied nehmen – und DIESER wird gerade Ur-Bischemern nicht leicht fallen. Das Modehaus Heidacker gehört zur Gemeinde, wie die Eisenbahn und der Wasserturm. Kunden kommen aus der ganzen Region – und jeder schätzt die Beratung, die Qualität und das Flair, den das Heidacker-Team im stylischen Gebäude in der Bischofsheimer Schulstraße bietet. Für die einen ist es vertraute Heimat, für andere einfach nur entspanntes Einkaufen wie früher – in Ruhe, vor Ort, bei Persönlichkeiten.
Beim Vor-Ort-Termin erzählten mir die Geschäftsführer Annegret Kunert (geb. Heidacker) und Thomas Heidacker davon, wie ihre Entscheidung reifte. „Wir haben es uns nicht leicht gemacht – und es bleibt ein lachendes und weinendes Auge“, so die beiden Geschwister.
73 Jahre – genauso alt, wie Annegret Kunert ist das Traditionsunternehmen für Mode und Raumausstattung heute. Gegründet wurde es von Caroline und Anton Heidacker, den Eltern der beiden Geschäftsführer. „Gerne hätten wir die 75 Jahre noch voll gemacht, aber durch Corona waren leider die letzten anderthalb Jahre sehr schwer und so ist die Entscheidung, schon früher zu schließen, letztendlich gefallen“, beschreibt Annegret ihre Gedanken der letzten Monaten.
Corona traf im Einzelhandel gerade die schnelllebige Modebranche, die sich schon länger der großen Konkurrenz des Onlinehandels gegenüber sieht. Kunden blieben weg und vieles konnte nur noch reduziert verkauft werden, da über die lange Schließzeit von fast einem halben Jahr einiges an Ware mehr hängen blieb, als normalerweise.
Allerdings ist Corona nur ein Pflasterstein, der den Weg zur Geschäftsschließung ebnete. „Wir sind weder pleite, noch insolvent“, sagt Thomas Heidacker schmunzelnd. „Wir wollten uns immer zu einem Zeitpunkt verabschieden, an dem wir positiv und entspannt gehen können. Dieser ist nun gekommen“, sind sich die Geschwister einig, die beide dafür bekannt sind langfristige und niemals leichtfertige Entscheidungen zu treffen. Dies merkt man übrigens auch, wenn man sich mit den Mitarbeitern unterhält. „Ich schrieb in meinem Leben nur eine Bewerbung“, berichtet Verkäuferin Claudia Sternberg, die ihre Lehre bei den Heidackers absolvierte und seit 39 Jahren Teil des Familienunternehmens ist. Genau wie sie sind auch Annette Heller aus der Buchhaltung, Irene Seidel im Nähatelier, Annegrets Tochter Anne Kunert und Thomas’ Frau Monika Heidacker – die sich eigentlich seit drei Jahren im Ruhestand befindet – nicht wegzudenken. „Mein Bruder ist 68, ich bin 73 – es ist an der Zeit, dass wir in den wohlverdienten Ruhestand gehen, so lange wir so fit sind, wie heute“, sagt Annegret Kunert, bevor sie anfügt: „Auch wenn wir die schöne Arbeit, das sympathische Personal und vor allem die wertvollen Gespräche mit den Kunden sehr vermissen werden“.
Warum keine Nachfolge?
„Klar war es mal Thema, ob ich das Modehaus übernehme“, sagt Anne Kunert, die Kunden als Verkäuferin im Modehaus bekannt ist. Obwohl sie „den Heidacker“ und die Arbeit dort liebe, führte ihr Lebensweg auch in die Mainzer Altstadt, wo ihr Lebenspartner die Goldschmiede Stöckel seiner Eltern übernahm. Schon seit längerem gehöre sie dort genauso zum Team, wie beim Heidacker. „So entschied ich mich dafür, dort mehr Aufgaben zu übernehmen“, so Anne.
Natürlich prüften Annegret und Thomas auch die Übernahme durch einen anderen Betreiber, merkten dabei jedoch schnell, wie einzigartig ihr Engagement für ein Modehaus in einer kleinen Gemeinde ist. „Es war nicht möglich, jemanden zu finden der das Geschäft auf diesem Niveau hätte weiterführen können“, so Annegret Kunert.
Eine gute Nachricht gibt es allerdings für die Fans der Heidacker-Markiesen und Sonnenschütze. Thomas’ Sohn Sebastian – Inhaber der Firma »Heidacker Objektausbau« für Trockenausbau – führt diesen Unternehmensbereich im Parkweg 1a in Bischofsheim weiter.
Ausverkauf startet am 16.09.
Um sich von den vielen Stammkunden in Ruhe zu verabschieden, startet bereits am Donnerstag, den 16.09. der Ausverkauf – bis sich am Jahresende die Schiebetür von Modehaus Heidacker final schließt. „Der Heidacker war immer schon Treffpunkt und Ort zum Verweilen und erzählen, hier ging es nicht nur um´s Geschäft“, sind sich Annegret Kunert und Thomas Heidacker einig.
Sicher wird das Heidacker-Team in den kommenden dreieinhalb Monaten auch mal ein Tränchen im Auge haben, aber dies sollte niemanden abhalten, noch einmal persönlich vorbeizukommen. Im Gegenteil: Gerade, wenn Abschied weh tut, ist er wichtig. Das Bischofsheimer Traditionsunternehmen Heidacker sagt: „Auf Wiedersehen!“ – und das mit Würde und Anstand. Annegret und Thomas entwickelten das Nachkriegsunternehmen ihrer Eltern zu einer Institution weiter, die identitätsstiftend für Bischofsheim wurde. Als Unternehmer waren sie Teil der Gemeinde, als Arbeitgeber vorbildlich für ihre Mitarbeiter da und als Anlaufstelle hatten sie stets eine offene Tür und offene Ohren. Die Entscheidung von Annegret und Thomas verdient Respekt und ein Wort mehr als „schade“ oder andere Formen des Bedauerns. Sie widmeten einen beachtlichen Teil ihrer Familiengeschichte der Eisenbahnergemeinde und schauen nun einer dreieinhalbmonatigen Abschiedsphase entgegen. Das gesamte Team verdient es, dass jeder, der sich mit „den Heidackers“ verbunden fühlt noch einmal vorbei geht. Denn unabhängig davon, ob man ein Modeschnäppchen mitnehmen möchte oder nicht, könnte man ja einen Satz zurück lassen – und zwar: „Danke für 73 Jahre!“
Axel S.
Der Osnabrücker Anton kam durch Kriegsgefangenschaft nach Rüsselsheim, verliebte sich in die Bischofsheimerin Caroline und blieb der Eisenbahnergemeinde treu.
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