„Unter einer Frau singe ich nicht!“

Wie Yvonne Barton Vorsitzende des Männergesangvereins Liederkranz wurde

Aufgewachsen ist sie in Polen, hat dort ihren deutschstämmigen Mann kennengelernt, ist mit ihm ausgereist in die Bundesrepublik Deutschland, erlernte die deutsche Sprache, studierte erneut Lehramt und nachdem sie als hauptberufliche Oberstudienrätin pensioniert wurde, übernahm sie als erste Frau den ehrenamtlichen Vorsitz im Männergesangverein Liederkranz in ihrer neuen Heimatgemeinde: Yvonne Barton, geborene Holona. Schon Opa, Vater und Mutter waren bei der polnischen Staatsbahn beschäftigt und so war ihr beruflicher Weg nach der achtjährigen Grundschule in Rybnik in Oberschlesien vorbestimmt. Nach dem Fachabitur am „Technikum“ studierte sie fünf Jahre Elektrotechnik. „Ich wusste vom ersten Tag an, dass ich Lehrerin werden wollte“, erzählt sie von ihren ersten Jahren als Pädagogin in Polen.

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Hoch-Zeit und Aus-Reise

Doch privat kam alles anders. Am „Tag des Lehrers“ wurde sie von Freunden als Tanzpartnerin „unverbindlich verkuppelt“. Aber schon nach einem Abend mit Walzer, Tango und Foxtrott entschied sie, „mit dem Alois will ich mich gerne weitertreffen“. Doch der Diplom-Ingenieur aus einer deutschen Familie wollte mit seinen Eltern ausreisen. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg war in der Volksrepublik Polen der Überfall der deutschen Wehrmacht und die gewaltsame Besetzung des Landes durch die Nationalsozialisten noch lange in Erinnerung. „Und wenn irgendwo Deutsch gesprochen wurde, kam die Polizei ins Haus“, berichten beide Bartons. Nach dem Staatsbesuch von Bundeskanzler Willy Brandt mit dem legendären Kniefall am Ehrenmal für die Helden des Warschauer Ghettos, gab es gute Chancen, einen Antrag auf Ausreise zu stellen.

 

Eine Frau steht ihren Mann

Samstags hat das Paar geheiratet, montags konnten die Ausreisepapiere abgeholt werden. Sohn Martin ist noch in Polen geboren, Tochter Dagmar in Deutschland. Yvonne Barton absolvierte Sprachkurse, studierte Mathematik an der TH Darmstadt und krönte ihre zweite Ausbildung mit dem 1. und 2. Staatsexamen. Sie war die erste Frau, die in Rheinland-Pfalz Elektrotechnik (an der Berufsschule Bingen) unterrichtete und begleitete „den Wandel in der deutschen Männerwelt“, sagt sie stolz; denn „in Polen spielten Frauen eine gleichberechtige Rolle in der Gesellschaft“. Und so kam es auch, dass sie 1995 die erste Abteilungsleiterin eines Frauenchors in der Männerdomäne Gesangverein wurde, die sich vorher noch „Die singenden Hausfrauen“ nannten. 2020 wurde sie als erste Vorsitzende des „Liederkranzes“ gewählt. Nicht alle waren damit einverstanden. „Unter einer Frau singe ich nicht“, hieß es und es gab sogar Austritte. Aber schon beim ersten Konzert habe sie große Akzeptanz gespürt.

 

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Aus Spätaussiedlern wurden Bischemer

Yvonne Barton hat schon in der Schule im Chor gesungen, Geige gelernt, rhythmische Gymnastik gemacht und geht seit 35 Jahre jede Woche mit ihrem Ehemann tanzen. Der wiederum war acht Jahre lang Vorsitzender des Partnerschaftsvereins und beide stehen als Übersetzer zur Verfügung, wenn sich Bischofsheim zum Austausch mit dem polnischen Dzierzoniow trifft. Aus den „Spätaussiedlern“ sind „Bischemer“ geworden, die auch mit ihren Enkeln die Freiheiten in Europa bei Besuchen mit alten Freunden in der früheren Heimat genießen. Zuletzt feierten sie 150 Jahre ihres Gesangvereins und nach wie vor finden sie sich donnerstags ab 17.30 Uhr bei den Chorproben im Bürgerhaus zusammen und auch die Ausflugsfahrt im Advent in den Spessart zu Gänseessen und Weihnachtsmarkt ist schon geplant. Die Sängerinnen werden immer mehr, die Sänger immer älter, „aber es geht weiter, wie immer“, sagt Yvonne Barton verhalten optimistisch zum Abschluss unseres Gespräches.

Professor Dr. Wolfgang Schneider


neuesausdermainspitze.de // 09.10.2025