Fahrdienst für Senioren in Ginsheim-Gustavsburg

Offener Brief sorgt für Erklärungen, Solidarität und eine Zwischenlösung

In einem Offenen Brief hob Hans-Benno Hauf am 27. Oktober 2022 die Dringlichkeit hervor, den kurzfristig eingestellten Fahrdienst für Senioren zum Mittagstisch und zu Veranstaltungen unbürokratisch wieder anzubieten. Diesen und weitere Dienste erbringt das Seniorenbüro der Stadtverwaltung als sogenannte „freiwillige Leistung“.

Zwischenzeitlich erklärte die Pressestelle von GiGu, dass es sich nur um eine vorübergehende Einschränkung handele. Zudem meldete sich die Turn- und Sportvereinigung Ginsheim (kurz: TSV) zu Wort und bot an, den weggefallenen Fahrdienst bis zum 13. Dezember zu übernehmen. Der offene Brief, die Stellungnahme der Stadtverwaltung GiGu und Statements der TSV und der Fraktionsvorsitzenden im Überblick:

 

Eine hohe Arbeitsbelastung, Budgetkürzungen und eine dünne Personaldecke im Bereich der geringfügig Beschäftigten seien der Grund für die kurzfristige Einstellung der Fahrten, so die Pressestelle der Stadtverwaltung. Konkret handele es sich ausschließlich um Fahrten zum Mittagstisch am Dienstag und Fahrten zu Veranstaltungen am Donnerstag. Das Seniorenbüro entschied sich für diese Streichung, weil davon durchschnittlich nur acht Personen betroffen seien. „Andernfalls müssten der Mittagstisch als Ganzes, andere Veranstaltungen oder im ungünstigsten Fall die Einkaufsdienste wegfallen, wovon wesentlich mehr Personen betroffen wären“, heißt es in der Stellungnahme der Stadtverwaltung. 

 

Krankheitsausfälle

Weiter heißt es in der Stellungnahme, das Seniorenbüro sei im Laufe des Jahres durch „die personelle Situation aber auch durch diverse krankheitsbedingte Ausfälle und Mehranforderungen in ein Spannungsfeld geraten“ und gerade Mitarbeiterinnen im Bereich des Fahr- und Einkaufsdienstes seien längerfristig ausgefallen. Die entstehenden Kosten gibt die Stadtverwaltung mit 4.000 bis 5.000 Euro pro Jahr an, wobei hier nur die Personalkosten von geringfügig Beschäftigten mit sechs bis acht Wochenstunden zugrunde liegen (keine KFZ-Kosten). Zudem betont die Stadtverwaltung, dass hierfür erst einmal geeignetes Personal vorhanden sein muss, welches schwierig zu finden sei. Auf unsere Rückfrage, welche Qualifikationen benötigt werden und was unternommen wurde, um Personal zu akquirieren, antwortete die Stadtverwaltung, dass es dem Seniorenbüro in diesem Jahr gelungen sei, drei neue Mitarbeiterinnen für die Fahrdienste zu gewinnen, die in der Lage und gewillt sind, einen Kleinbus zu fahren, über Ortskenntnisse verfügen, zeitlich verfügbar sind, ihre „Kunden“ entsprechend unterstützen und mit einer geringfügigen Beschäftigung zufrieden sind. „Das Seniorenbüro tut also sein Bestes“, so die Pressestelle.

 

Wie viel Geld fehlt?

Gekürzt wurden 2021 10.000 Euro, wovon 5.000 Euro durch die öffentliche Intervention der Tafel (zum Ausliefern von Tafelkisten) zurück kam. Um dem aktuellen Anspruch unter einer zumutbaren Arbeitsbelastung gerecht zu werden, wären laut Schätzung des Seniorenbüros eine Budgeterhöhung von 26.000 bis 31.000 Euro pro Jahr nötig. Diese Kalkulation setzt sich aus einem weiteren geringfügig Beschäftigten (6.000 Euro) und einer hauptamtlichen Kraft (10-15 Stunden, 20.000 bis 25.000 Euro) zusammen.

 

Suche nach Lösung war geplant

Bevor die TSV Ginsheim ihre Hilfe anbot, soll die Verwaltung laut eigener Angabe bereits nach einer alternativen Lösung gesucht haben. Eine Vorlage an den Magistrat sei erarbeitet worden. Die kurzfristige Hilfe der TSV nehme die Verwaltung dankbar an, wozu der Bürgermeister auf unsere Rückfrage zusätzlich antwortete: „So ehrenwert, wie der spontane Einsatz der TSV für unsere Seniorinnen und Senioren ist, wichtige städtische Angebote kurzfristig durch ehrenamtliches Engagement zu erhalten, darf er trotz klammer kommunaler Kassen nicht zur Regel werden. Für eine ausreichende finanzielle Ausstattung der Kommunen zu sorgen, bleibt daher eine vordringliche Aufgabe, der ich mich stelle.“ 

Ob der Wunsch von Bürgermeister Thorsten Siehr umsetzbar ist, wird die Zukunft zeigen. Dass die Stadtverwaltung sehr wohl mit Ehrenamt plant, zeigt die Vorlage an den Magistrat. Diese beschäftigt sich mit zukunftsorientierten Angeboten des Seniorenbüros, die trotz geringem Budgets unter Sicherstellung der Mobilität von Seniorinnen und Senioren genutzt werden können. Wörtlich heißt es: „Ein Weg dorthin könnte einen Rückgriff auf ehrenamtliche Unterstützung bedeuten.“

 

Axel S.


Offener Brief an den Magistrat und die Fraktionen in der Stadtverordnetenversammlung

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

der städtische Mittagstisch heute (27.10.)  im Vereinsheim des ASV Ginsheim mündete in einem für die städtische Seniorenarbeit ausgesprochen peinlichen und in der Sache ärgerlichen, ja skandalösem Ende. In einer emotional sehr aufgeheizten Stimmung bestätigte das Seniorenbüro den Teilnehmern die sofortige Einstellung des städt. Fahrdienstes bei allen Veranstaltungen des Seniorenbüros einschließlich des Mittagstischs aus Kosten- und Personalgründen. Damit bestätigte sich die bereits am 18. Oktober bekannt gewordene Nachricht trotz erheblichem Widerspruch von Betroffenen und zwischenzeitlicher Intervention des Seniorenbeirats. Nein, nicht nur urplötzlich in den verbleibenden zwei Monaten, sondern auch im kommenden Jahr sei der Fahrdienst bei dem von der Politik im Haushalt zur Verfügung gestellten Geld nicht mehr finanzierbar, so der anwesende Leiter des Seniorenbüros.

 

Im Ergebnis ist diese Entscheidung  nicht nachzuvollziehen. Ausgerechnet die Ältesten und Gehbehinderten aus beiden Stadtteilen trifft erneut die kommunale Rotstiftpolitik, die ohne den Fahrdienst nicht mehr an Veranstaltungen und dem Mittagstisch teilhaben können. Sie schaffen aus gesundheitlichen Gründen ohne Hilfe den Weg einfach nicht mehr. Ein harter Einschnitt und ein Wegfall eines wichtigen sozialen Ereignisses, für manche das mitunter Einzige in der Woche. 

 

Die permanenten Budget-Kürzungen der letzten Jahre im Bereich der Seniorenarbeit sind sozialpolitisch falsch und in den Auswirkungen blamabel. Es ist allerhöchste Zeit, dies wirksam zu ändern. Auch kurzfristig und unbürokratisch, zum Erhalt des Fahrdienstes für die Veranstaltungen des Seniorenbüros.

 

Mit freundlichen Grüßen

Hans-Benno Hauf


Der Vorsitzende der TSV Ginsheim zur Entscheidung des Vereins:

 

Der geschäftsführende Vorstand ist mit breiter Zustimmung dem Vorschlag des 2. Vorsitzenden Norbert Lindemann gefolgt, den Fahrdienst dienstags zum Seniorentreff, den die Stadt nicht mehr leisten kann, zu übernehmen. Dass mobilitätseingeschränkte Personen den Mittagstisch wegen fehlender Fahrgelegenheit nicht mehr besuchen können sollten, war schwer vorstellbar.

 

Wie hat es Hans-Benno Hauf treffend formuliert: „Ein harter Einschnitt  und ein Wegfall eines wichtigen sozialen Ereignisses, für manche das mitunter Einzige in der Woche.“

 

Die TSV Ginsheim hat die Ressourcen, um helfen zu können. Wir verfügen über einen vereinseigenen Bus für den Personentransport und fitte und engagierte (Un)Ruheständler, die die Fahrdienste übernehmen können und wollen. Kurze Kommunikationswege auf persönlicher Ebene, per Telefon und auch persönlicher Ansprache in den Übungsstunden führten zur raschen Bildung eines Fahrerpools. Und unser Geschäftsführer Roland Reinheimer hat bei der Absprache im Geschäftsführenden Vorstand spontan zugesagt, die erste Fahrt am 8. November zu übernehmen. Der übrige Fahrereinsatz bis zum 13. Dezember wird derzeit geplant.

 

Im vorliegenden Fall ist es auch mal angebracht, der Stadt helfen zu können, die mit vielen Maßnahmen die Vereine unterstützt. Natürlich ist das kein Dauerzustand und wir hoffen, dass die Stadt auch zukünftig wieder solche Maßnahmen in Eigenverantwortung übernehmen kann und wird.

 


Die Fraktionsvorsitzenden der Parteien im Stadtparlament von Ginsheim-Gustavsburg äußertensich folgendermaßen:

Melanie Wegling (SPD):

„Die Enttäuschung des Seniorenbeirats über den Ausfall des Fahrdienstes können wir gut nachvollziehen. Es zeigt einmal mehr, dass die freiwilligen Angebote der Stadt wichtig sind – aber eben auch mit Personal und Budget ermöglicht werden müssen. Leider spüren wir hier wie vielerorts den aktuellen Mangel an Arbeitskräften, sodass der Fahrdienst über 6 Wochen ausfallen muss. Die SPD wird gerne gemeinsam mit dem Seniorenbüro und -beirat beraten, wie wir die derzeit begrenzten Ressourcen zum Wohle der Senior:innen bestmöglich einsetzen können.“


Rolf Leinz (Freie Wähler):

„Die Freien Wähler haben von der Einstellung des Fahrdienstes durch eine Mail von Herrn Heidl am 28.10. erfahren. Eine offizielle Info über die Einstellung durch den Bürgermeister an die Fraktionen erfolgte nicht.

In den Haushaltsberatungen wird dieses Thema zu besprechen sein.

Auf Kreisebene existiert aber bereits heute eine Richtlinie zur Beförderung von gehbeeinträchtigten Menschen.

Ein Dank geht an den TSV Ginsheim, der den Fahrdienst kurzfristig übernimmt und unbürokratisch Hilfe leistet.“


Dr. Alexander Rheinberger (CDU):

„Die CDU GiGu hat von den Kürzungen durch einen Eilantrag des Seniorenbeirats und den Brief erfahren, leider nicht durch den Bürgermeister. Wir sind gegen die Kürzung und werden den Eilantrag unterstützen. Die Stadt darf nicht bei den Gebrechlichsten sparen. Die CDU hatte deshalb erfolglos gegen pauschale Kürzungen auch im Seniorenbereich gestimmt. Es gilt, finanzielle Mittel umzuwidmen. Anstatt weitere Dogstations mit Kotbeuteln einzuweihen, hätte der Bürgermeister z. B. die Umwidmung der Mittel prüfen können.“


Johanna von Trotha (FDP):

„Leider hat die FDP-Fraktion erst durch die Anfrage dieser Zeitung davon erfahren. Entscheidend ist, dass diese Sparmaßnahme zu Lasten der Senioren eine alleinige Entscheidung des Bürgermeisters Siehr ist. Er erkennt in seiner Rolle als Bürgermeister, dass Verantwortung übernehmen bedeutet, Antworten zu geben. Scheinbar hat Herr Siehr die Entscheidung getroffen, den Fahrdienst für die Senioren, mit der Begründung von Überstunden des Personals, einzustellen. Wir als FDP-Fraktion bedauern dies, hoffen auf die Einsicht des Bürgermeisters und das eine pragmatische Lösung gefunden werden kann.“


Hanna Mohr (Die Linke):

„Als GiGu noch genug Geld hatte, um freiwilligen Leistungen u.a. den Senior:innen zukommen zu lassen, wurden diese großzügig unterstützt. Leider sind diese Leistungen wegen mangelnder Fördermittel des Landes Hessen stark reduziert worden. Dass jetzt der Fahrdienst eingestellt werden muss, trifft immobile Senior:innen besonders hart. Hier hat sich dankenswerter Weise vorübergehend die TSV angeboten. Wie es nächstes Jahr weiter geht bleibt fraglich. Wir setzen uns, so weit es geht, für eine Kontinuität und gegen jegliche soziale Sparmaßnahmen ein.“


Christina Gohl (Die Grünen):

„Bündnis90/ Die Grünen wurden erst aufgrund des Eilantrages über die Situation informiert. Wir werden das Anliegen des Seniorenbeirats selbstverständlich unterstützen. Leider fehlen uns gänzlich die Informationen seitens der Stadtverwaltung. Wir hoffen auf mehr Hintergrundinformationen in der nächsten Sitzungsrunde. Wir sind äußerst irritiert über die kurzfristige Entscheidung des Bürgermeisters, den Dienst einzustellen. Hier erwarten wir eine deutlich bessere Kommunikation und sind dankbar,  dass die TSV die Fahrten nun erst einmal übernehmen kann.“



10.11.2022