Bauer Rudolf Guthmann aus Ginsem gestorben

Nehmt euch Zeit. Rudolf Guthmann hätte sie sich auch für euch genommen. – Vermutlich hat er das sogar: Im Feld am Wegesrand, im Ort vor seiner Hofreite oder im Bürgerhaus beim Stadtparlament. Fragende Blicke nahm er zum Anlass für Gespräche und zufällige Bekanntschaften entwickelte er zu nachhaltigen Freundschaften. Rudolf Guthmann war offen, uneitel und ehrlich. Am 27. November starb Rudolf Guthmann im Alter von 84 Jahren. Er hinterlässt seine Ehefrau Heidi, seine Kinder Anne, Peter und Klaus, sowie acht Enkelkinder und drei Urenkel. In diesem Beitrag versuche ich die Offenheit wiederzugeben, mit der mir Rudolf Guthmann zu Lebzeiten – und seine Familie nach seinem Tod – begegnete: Persönlich, direkt und einfach echt!

 

Bodenständig – aber bereit zum Fliegen

Die Geschichte beginnt mit einem Traktor und zwei Pferden in der Hofreite Guthmann in der Ginsheimer Rheinstraße. Dort erblickte Rudolf das Licht der Welt und führte – gemeinsam mit seiner Ehefrau Heidi – den familiären Landwirtschaftsbetrieb weiter. Verantwortung übernahm er früh, denn sein Vater starb bereits 1965. Der damals 28-jährige Rudolf stand kurz vor seiner Hochzeit mit Heidi, der er mit vierwöchiger Verzögerung in der evangelischen Kirche Ginsheim das Ja-Wort gab. „Danach hatte uns der Alltag“, erinnert sich seine Frau. „Wir heirateten Sonntagmittag. Nach dem Kaffeetrinken zog ich das Brautkleid aus und ging in den Stall, um die Tiere zu füttern“. Auch wenn diese Erzählung wenig romantisch klingt, gibt sie die Lebenswirklichkeit von Rudolf sehr gut wieder. Es ging ihm nie darum, selbst im Mittelpunkt zu stehen oder sich feiern zu lassen. Wichtig war ihm die Sache und nie irgendwelche Ideologien. So wurde er stets der Verantwortung gerecht, die er übernahm: zu Hause, auf dem Feld und in der Kommunalpolitik. Dies führte aber auch dazu, dass Urlaube nicht sehr weit oben auf seiner ToDo-Liste standen. Zum Glück hatte er Heidi. Als sie mir von seinem 60. Geburtstag und ihrem Geschenk erzählte, musste ich lachen, denn sie schilderte Rudolf Guthmann, wie er leibt und lebt: „Ich überreichte ihm morgens mein Geschenk. Es war ein Umschlag mit Flugkarten für eine Urlaubsreise nach Madeira. Er nahm den Umschlag, steckte die Karten in die Innentasche seines Sakkos und startete in den Tag“, erzählt seine Frau. Als sie abends fragte, ob er wisse, was im Umschlag sei, fiel er aus allen Wolken. „Wie stellst du dir das vor – ich mach nicht fort“, sagte er. Nachdem Heidis Versuch, die Tickets im Reisebüro zurückzugeben oder umzutauschen, erfolglos blieb, stellte sie ihn vor vollendete Tatsachen: „Rudolf, wir fliegen da jetzt hin!“, sagte sie und schenkte ihm damit ein Erlebnis, von dem er noch jahrelang schwärmte. Vermutlich legte sie damit auch den Grundstein für Rudolfs Besuch in der früheren senegalesischen Partnerstadt Ballou: eine lange, anstrengende Reise mit Übernachtung unter freiem Himmel. Was mir seine Familie erzählte, klingt für Rudolf-Guthmann-Kenner fast unglaublich: „Da stand er – mit Safariklamotten und Turnschuhen im Senegal“, so die Familie.

 

Konservativ – aber offen!

Rudolf Guthmann war CDU-Mitglied und überzeugter Christ. Zu Fronleichnam öffnete das Mitglied der evangelischen Kirchengemeinde sein Hoftor für alle Konfessionen. Die katholische Kirchengemeinde beschreibt ihn in ökumenischer Hinsicht als besonders bedeutend. Für sein konsequentes, kommunalpolitisches Engagement in der CDU – im Rahmen dessen er zahlreiche Ämter inne hatte – genoss er über die Parteigrenzen hinweg ein hohes Ansehen. Für Rudolf selbst war seine Offenheit eine Selbstverständlichkeit, durch die er – ohne es bewusst zu wollen – auch jeden Mitarbeiter und Erntehelfer fest ins Team integrierte. „Ich saß schon als kleiner Bub regelmäßig mit Menschen aus unterschiedlichen Ländern am Tisch. Das war völlig normal“, erinnert sich Klaus Guthmann. 

Eine beispielhafte Geschichte für Rudolfs Menschen-Neugier ereignete sich ein paar Jahre vor der Wende. Der Ostdeutsche Bauer Arndt Beger durfte wegen des 50. Geburtstags seiner Cousine in den Westen ausreisen und besuchte sie in Gustavsburg. Weil er die Gelegenheit nutzen wollte, Kontakt zu Bauern im Westen aufzunehmen, fuhr er – nachdem er in Gustavsburg keinen Bauern fand – mit dem Bus nach Ginsheim. Dort traf er auf unseren Rudolf Guthmann, der sich spontan Zeit für ihn nahm. Dies war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Rudolf zeigte ihm, wie westdeutsche Landwirte arbeiten und sendete ihm regelmäßig die Bauernzeitung nach Ostdeutschland. Nach dem Fall der Mauer besuchten sie sich und schickten sogar ihre Kinder (damals 15 und 17 Jahre alt) alleine zum Bauer Guthmann nach Ginsem.

 

Manchmal laut – aber immer reinen Herzens

„Wenn wir unterschiedlicher Meinung waren, bekamen das die Nachbarn schon mit“, sind sich die Gutmänner einig. Interessant ist, dass das Austragen lautstarker Konflikte sowohl der Familie, als auch Weggefährten eher als positive Eigenschaft in Erinnerung ist. „Wir konnten uns anbrüllen und zehn Minuten später ganz ruhig über eine andere Sache sprechen. Unser Vater war nie nachtragend“, betonen seine Söhne. Alle Gespräche, die ich über Rudolf Guthmann führte, belegen dies. Die Menschen schätzten seine direkte Art, weil sie Ausdruck seiner aufrichtigen Persönlichkeit war. Niemals hätte Rudolf strategisch hinter dem Rücken anderer einen Racheplan geschmiedet. Weder privat, noch im Beruf und schon gar nicht in der Politik. Er sagte, was er dachte. Stand zu seinem Wort und ließ sich – wie zum Beispiel in Sachen Urlaub – auch mal vom Gegenteil überzeugen. Seine Größe zeigte sich auch darin, dass er verlieren konnte. Rudolf Guthmann sah Auseinandersetzungen sportlich und hielt stets daran fest, doch noch auf einen gemeinsamen Nenner zukommen. „Dass mein Vater jahrzehntelang eingeschnappt war oder so kam nicht vor. Hassen konnte er nicht“, so einer seiner Söhne.

Im Jahr 2015 setzte ich mich erstmalig intensiver mit dem Leben von Rudolf Guthmann auseinander. Es herrschte Bürgermeisterwahlkampf in GiGu, die Parteien attackierten sich im Wochenblick gegenseitig mit Leserbriefen und griffen darin auch Rudolf Guthmann an. Dr. Peter A. Schult – in unserer Zeitung immer mit einer Kolumne auf Seite zwei vertreten – verfasste damals einen Leserbrief, der mir in Erinnerung blieb. „Vorsicht vor dieser Fehleinschätzung gegen Guthmann“, schrieb er prophetisch. „Bald schon könne eine Straße oder das Altrheinufer nach Rudolf Guthmann benannt werden“, so Dr. Schult. Ich brauchte damals nicht lange, um die Bedeutung dieses Mannes für Ginsheim-Gustavsburg zu erfassen, denn ein Blick in seine Karriere als kommunaler Parlamentarier reichte aus, um sein Schaffen zu erkennen. 

Nach der Info über seinen Tod schoss mir der Leserbrief von damals wieder in den Kopf. Eine Straße oder die Uferpromenade nach im zu benennen, erschien mir als eine angemessene Antwort. Und auch wenn ich glaube, dass es Bauer Rudolf Guthmann egal wäre, ob sein Name ein Straßenschild ziert oder nicht, bin ich mir sicher, dass er die feierliche Enthüllungszeremonie nicht ausgeschlagen hätte. 

 

Zufrieden – nie undankbar 

„Er sagte immer, er lässt alles auf sich zukommen. So hatte er auch seinen Tod nicht geplant“, sagt seine Familie, die sehr gelöst auf mich wirkt. 

Vor seiner Beisetzung wurde Rudolf ein letztes Mal unterm Scheunentor in der Hofreite Guthmann aufgebahrt. Verwandte und Nachbaren kamen hinzu und Pfarrerin Julia Christensen machte die Aussegnung. Als wertvoll empfand die Familie, dass die evangelische Pfarrerin bei ihnen blieb, bis der letzte Gast gegangen war – wie bei der Trauerfeier auf dem Friedhof, wo auch der katholische Pfarrer Karl Zirmer den ökumenischen Wegbereiter Rudolf Guthmann hervorhob.

„Es war ein schönes Abschiednehmen, wie er es sich auch gewünscht hätte. Hier wurde er geboren und hier endete sein Leben. Seitdem fällt es uns leicht, mit seinem Tod umzugehen. Und wir wissen, er war zufrieden“, so die Familie.

Axel S.


„Sein Leben war (auch) Politik. Im Jahre 2019 hatte ich, als Stadtverordnetenvorsteher, die große Ehre und Freude, einem großen Kommunalpolitiker unserer Stadt die Goldene Ehrenmedaille der Stadt Ginsheim-Gustavsburg zu verleihen. Diese Auszeichnung erhielten bisher nur wenige Persönlichkeiten unserer Stadt.

Nun ist dieser große Kommunalpolitiker ganz überraschend von uns gegangen.

Sein Lebenswerk zu benennen und zu erläutern ist seitenfüllend. Deshalb will ich mich in meinem Nachruf auf das Wesentliche beschränken.

Rudolf Guthmann war nicht nur ein Mann des Wortes, er war auch ein Mann der Tat. Er war für mich ein Mentor und ein Vorbild. Sein umfassendes Wissen über seine Heimat werde ich nie erreichen können.

Die Diskussionen mit ihm waren immer erbaulich und zielführend. Wir gingen nie im Streit auseinander - wir hatten ja die gleichen Ziele.

Rudolf hatte das Herz am rechten Fleck, war immer hilfsbereit und nie überheblich. Er war im wahrsten Sinne des Wortes ein Mann des Volkes.

Rudolf Guthmann war 48 Jahre Stadtverordneter und als solcher 17 Jahre Fraktionsvorsitzender. Darüber hinaus war er mehr als 8 Jahre stv. Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung.

Auch im Kreistag Groß-Gerau wirkte Rudolf Guthmann 10 Jahre an der politischen Willensbildung mit.

Bereits im Jahre 1985 erhielt Rudolf Guthmann den Ehrenbrief des Landes Hessen, 1996 die silberne Ehrenmedaille der Stadt und 2008 das Bundesverdienstkreuz. Rudolf, es war mir eine Ehre mit Dir zusammen zu arbeiten und unsere Stadt voranzubringen!“ Mario A. Bach, Kreisbeigeordneter

 

Kommunalpolitik

1971 bis 2019 gehörte Rudolf Guthmann ununterbrochen der Gemeindevertretung bzw. Stadtverordnetenversammlung an. Er war Mitglied von Ausschüssen und von 1995 bis 2003 und 2008 bis 2001 Fraktionsvorsitzender der CDU-Fraktion.

Er wurde mit der Silbernen Ehrenmedaille (1996), dem Ehrenbriefes des Landes Hessen (1985), dem Bundesverdienstkreuz (2008), der Ehrenbezeichnung „Ehrenstadtverordneter“ und der Goldenen Ehrenmedaille (2019) ausgezeichnet.


„Ich bin sehr traurig darüber, dass uns mit Rudolf Guthmann ein großer Kommunalpolitiker und eine sehr geschätzte Persönlichkeit für immer verlassen hat. Unserer Gesellschaft geht mit Rudolf Guthmann ein Vollblutpolitiker verloren, der sich fast sein ganzes Leben voll und ganz für die Belange der Bürgerinnen und Bürger eingesetzt hat, so wie er es für richtig hielt. In seinem Auftreten war er immer glaubwürdig und in seinen Reden bodenständig und klar. Er konnte den Menschen gut zuhören und die richtigen Rückschlüsse daraus ziehen. Das machte ihn in der Bevölkerung sehr beliebt. 

Rudolf Guthmann war einer meiner ersten Ansprechpartner innerhalb der CDU. Letztlich war er es, der mich vor mehr als sechs Jahren darin bestärkt hat, in den Wahlkampf zu gehen und für das Amt des Bürgermeisters zu kandidieren. Ich habe ihm persönlich viel zu verdanken. Mein Mitgefühl gilt seiner Frau und der ganzen Familie.“

Thies Puttnins-von Trotha, Bürgermeister von GiGu


„In über 50 Jahren gemeinsamen Weges in der evangelischen Kirchengemeinde, im Heimat- und Verkehrsverein, im politischen Engagement habe ich einen aufrechten, hilfsbereiten und dem Gemeinwohl besonders verpflichteten Menschen kennen und Wert schätzen dürfen, der beharrlich und oft auch in humorvollem Vergleich argumentieren konnte. Ich hätte gerne noch vieles von seinem nicht enden wollenden Wissen über Traditionen, das heimatliche Leben und die Menschen erfahren.“

Hans-Benno Hauf


„Die Nachricht vom Tod von Rudolf Guthmann hat mich und meine Familie betroffen gemacht. Während meiner 24-jährigen  Amtszeit habe ich Rudolf Guthmann in vielen Funktionen als engagierten Bürger unserer Stadt erlebt. Insbesondere als Gemeindevertreter und später als Stadtverordneter hat er sich maßgeblich für die Bürgerinnen und Bürger seiner Heimatgemeinde eingesetzt. Auch wenn wir in zwei unterschiedlichen Parteien waren, war unser Verhältnis stets von gegenseitigen Respekt geprägt. 

Rudolf Guthmann konnte seine Meinung nicht nur nachhaltig vertreten, nein, er tat dies oft auch  mit einem Schuss Humor. Mit ihm verliert die Stadtpolitik  eine der prägendsten Persönlichkeiten der letzten Jahrzehnte,  aber auch einen Menschen, der in seiner Heimatgemeinde fest verwurzelt war und über ein umfassendes Detailwissen insbesondere was die Ortsgeschichte von Ginsheim betrifft, verfügte. 

Unser Mitgefühl gilt insbesondere seiner Ehefrau und der gesamten Familie.“

Richard von Neumann, Ehrenbürgermeister



09.12.2021