Zuerst war es nur Neugier

Herbert Jack kandidiert nicht erneut als Vorsitzender des Schiffsmühlen-Vereins

„Das war der Geburtskanal“, erzählt Herbert Jack schmunzelnd, während er aus einem Fenster der Schiffsmühle auf den Verlauf des Rheins deutet. Im September 2011 erreichte die Rekonstruktion der Ginsheimer Rheinschiffmühle über diese Wasserstraße ihren Heimathafen Ginsheim. Ein Termin, den Herbert liebevoll als Geburtstag bezeichnet. 14 Jahre lang diente er dem Verein „Schiffsmühle Ginsheim am Rhein e.V.“ als erster Vorsitzender, nachdem er sich zuvor ein ganzes Jahrzehnt mit Rheinschiffsmühlen beschäftigte. Um den Fortbestand des Vereins und des schwimmenden Museums zu sichern, verzichtet Herbert Jack auf eine erneute Kandidatur bei der Jahreshauptversammlung des Schiffsmühlen-Vereins am 18. Februar. „Ich bin der Meinung, dass ich ein Alter erreicht habe, in dem man diese verantwortungsvolle Aufgabe in jüngere Hände legen sollte“, so der 83-jährige. 

Mit diesem Beitrag nehme ich nicht nur die Schiffsmühle in den Fokus, sondern mache die Perspektive des Visionärs Herbert Jack sichtbar. 

Viel Spaß mit diesem Blick in die Vergangenheit und Zukunft des wohl außergewöhnlichsten Bauwerks der Mainspitze der mindestens letzten 40 Jahre.

 

 

Herbert Jack ist das, was ich umgangssprachlich gerne als „harten Knochen“ bezeichne: Eine Person, die eine Aufgabe – sei sie noch so anstrengend oder komplex – mit Durchhaltevermögen meistert. Der schwimmende Beweis für meine These ist die Ginsheimer Schiffsmühle. Man erreicht sie als Spaziergänger am Altrhein oder kann – wenn man nicht mehr so gut zu Fuß ist – direkt am Anleger am Ende der Panzerstraße (Verlängerung der Bouguenais-Allee) parken. Und selbst wenn man mit GiGu nichts zu tun hat, so sieht man sie beim Vorbeifahren über die nahegelegene Autobahnbrücke. Dass die Schiffsmühle zu Ginsheim gehört wie die Burg-Lichtspiele zu Gustavsburg und der Wasserturm zu Bischofsheim, verdanken wir der Neugier von Herbert Jack. In seiner früheren Funktion als Vorsitzender des Heimat- und Verkehrsvereins (kurz: HVV) erreichten ihn historische Fotografien von Ginsheimer Rheinschiffmühlen. „Ich wollte wissen, wie sie von innen aussahen und startete Erkundungen, die mich unter anderem nach Rumänien und zum deutschen Museum nach München führten“, erinnert sich Herbert. Durch das bekundete Interesse an Schiffsmühlen erhielt der HVV im Jahr 2003 eine Einladung, Originalteile aus einer alten Mühle auszubauen. Eine Gelegenheit, die Herbert mit einigen Helfern beim Schopf packte und er begann, von einer rekonstruierten Mühle zu träumen. Daran, dass mit diesen und weiteren Bauteilen aus ganz Deutschland am Standort Ginsheim acht Jahre später tatsächlich eine originalgetreue Rekonstruktion einer Schiffsmühle entstehen würde, dachte er nicht wirklich. „Wir lagerten die Teile ein, weil es danach aussah, als würden wir kein Geld für den Nachbau zusammen bekommen. So war zwischen 2003 und 2007 erst einmal Ruhe“, erinnert sich Herbert. 

 

Zufälle

Weil der Heimat- und Verkehrsverein die Garage brauchte, in der die ausgebauten Schiffsmühlenteile lagerten, bekam das Thema neue Aktualität. „Wir mussten die Garage ausräumen, hatten dafür aber ein großzügiges Zeitfenster und wollten die Teile auf keinen Fall auf den Schrott werfen“, so Herbert, der damals – fast zeitgleich – durch einen Tipp von Bürgermeister Richard von Neumann (heute Ehrenbürgermeister in Ruhestand) überrascht wurde. Zufällig hatte sich ein Vertreter der »Stiftung Flughafen Frankfurt am Main für die Region« in einer Bürgermeister-Versammlung mit den Worten „wir haben Geld und suchen Objekte“ vorgestellt. Wohlweislich, dass die Stiftung nur gemeinnützige Vereine begünstigen würde, bereitete Herbert Jack in Rücksprache mit Amtsgericht und Finanzamt eine mögliche Satzung für die theoretische Idee einer Vereinsgründung vor und suchte das Gespräch mit der Flughafen-Stiftung. Dankbar über die glückliche Fügung überließ er beim Treffen mit der Stiftung nichts dem Zufall. „Ich schickte vorab ein gut strukturiertes Exposé und merkte im Gespräch, dass sich der Herr eingelesen hatte. Auf meinen Hinweis, dass wir auf eine Vereinsgründung vorbereitet seien, antwortete der Stiftungsvertreter mit »dann gründen Sie doch mal einen Verein«“, erzählt Herbert, der diese Antwort rückblickend als „Startschuss“ für das Projekt Schiffsmühle betrachtet. 2008 gründeten 32 Mitglieder den Verein Schiffsmühle Ginsheim am Rhein e.V., in dem Herbert bis heute die Position des ersten Vorsitzenden übernahm. 

 

Eine Schiffsmühle kostet mehr als 300.000 Euro

So real die Schiffsmühle vor Herbert Jacks geistigem Auge war, so laienhaft war seine Kalkulation von 300.000 Euro. „Ich hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass meine Kostenschätzung auf Amateurwissen basierte und holte für die Umsetzung Angebote ein und Ingenieure mit ins Boot“, erinnert sich Herbert. Sie errechneten Gesamtkosten von 500.000 Euro, was das Durchhaltevermögen von Herbert Jack auf die Probe stellte. „Das war kein angenehmes Gefühl und ich nahm sofort Kontakt zur Stiftung auf. Obwohl mir zunächst wenig Hoffnung auf mehr Geld gemacht wurde, rief der Stiftungsvertreter einige Tage später zurück und fragte »sitzen Sie?«“, erinnert sich Herbert, der die Frage mit „Ja“ beantwortete, obwohl er stand. Rückblickend betrachtet hätte er sich wohl hinsetzen sollen, denn die »Stiftung Flughafen Frankfurt am Main für die Region« sagte in diesem Telefonat zu, den bereits versprochenen 150.000 Euro weitere 175.000 Euro zu. „Mit einem Startkapital von 325.000 Euro können wir arbeiten“, dachte sich Herbert und erhöhte die Summe durch Spendenaktionen bis zum Jahr 2010 auf 450.000 Euro. „Besonders freute mich damals die Spende der Schweizer Firma, die die Ur-Mühle 1895 – also vor mehr als 115 Jahren – ausstattete“, so Herbert Jack.

Durch eine Bürgschaft der Stadt Ginsheim-Gustavsburg erhielt der Verein ein Darlehen der Volksbank Mainspitze und vergab im März 2011 Aufträge zum Bau der Schiffsmühle, die im September geliefert oder – wie Herbert es sagen würde – „geboren“ wurde.

 

„Wenn der Vorstand mich ruft, bin ich da!“

„Einen Titel, um dem Verein gewogen zu bleiben, brauche ich nicht“, sagt der scheidende erste Vorsitzende und kündigt an, für Führungen und auf Wunsch des Vorstandes weiterhin mit seiner Erfahrung zur Verfügung zu stehen. Ein Versprechen, mit dem Herbert den Generationswechsel erleichtern möchte, denn „die Verantwortung, die ich gegenüber dem Verein und seinen Mitgliedern und Freunden empfinde, lässt mir keine andere Wahl“, so Herbert Jack.

 

Mit der Rekonstruktion der Schiffsmühle transferierten Herbert und seine Vereinsfreunde ein Stück Heimatgeschichte in die Gegenwart. Das schwimmende Museum ist mehr als nur ein Ausflugsziel oder eine Attraktion. Der Verein erschuf das, was Fans der Serie „Raumschiff Enterprise – the next Generation“ als Holodeck kennen. Einen Raum, der realistisch ein Umfeld darstellt, indem man sich so frei bewegen kann, als wäre man wirklich dort. Sehe ich historische Fotografien von mir bekannten Orten, wünsche ich mir jedes Mal ein Holodeck. Gerne wäre ich wirklich vor Ort und würde mich umschauen. Vielleicht wünschte sich Herbert Jack das Gleiche, als er 1998 die Schiffsmühlen-Fotos betrachtete, ohne diesen Gedanken – wie ich es tue – zu verwerfen und drang so in Galaxien vor, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Sicher bin ich, dass wir den „Schiffsmühlen Captain Jack“ nicht zum letzten Mal in Aktion sahen und er – ähnlich wie Raumschiff-Kapitän Jean-Luc Picard – zu neuen Abenteuern aufbricht, indem er sagt: „Energie“.

Axel S.


Infos und Öffnungszeiten gibt’s unter 

www.schiffsmuehle-ginsheim.de

 

Die Jahreshauptversammlung des Vereins findet am Freitag, den 18.02.2022, um 19 Uhr im Bürgerhaus Ginsheim statt.




17.02.2022